Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
Rechtsbeistands für die Verteidigung stand auf einer gestrichelten Linie der Name Alistair L. Duncan.
Sunny schaute mir über die Schulter.
„Bei den Hex Riots!“
Vor dreißig Jahren war Alistair der Anwalt von Marcus Levinson gewesen. So hatte er all die Geheimnisse von Marcus erfahren, und da dieser nun tot war, besaß sie Alistair ganz für sich allein.
„Wir müssen Stephen finden.“
„Warum, und wer ist Stephen?“, fragte Sunny.
„Stephen Duncan ist Alistairs Sohn. Er verschwand, kurz nachdem ihn Duncan auf Kaution rausgeholt hat. Er ist derjenige mit der Markierung.“ Ich warf ihr das Spruchbuch zu. „Finde heraus, wie wir das hier lesen können. Dmitri und ich machen derweil einen kleinen Ausflug.“
„Wohin wollt ihr?“, rief mir Sunny hinterher, als ich die Treppen zum Kinosaal hinunterhastete und durch den Gang zur Tür lief. Ich erwiderte nichts, da die Antwort Sunny mit einer Genugtuung erfüllt hätte, die ich ihr nicht gönnen wollte. Es gab nur eine Person, von der ich wusste, dass sie erfolgreich eine Markierung zurückverfolgen könnte. Allein der Gedanke daran machte mich wütend, aber ich hatte keine Wahl – wenn ich Stephen nicht bald aufspüren würde, saßen wir alle gewaltig in der Patsche.
Das Häuschen meiner Großmutter lag in einer Sackgasse an den Klippen in einem weit abgelegenen Teil von Battery Beach. Als wir ankamen, brannte noch Licht. Als altehrwürdige Hexe, deren magische Fähigkeiten mit dem Mond ab- und zunahmen, blieb sie höchstwahrscheinlich die ganze Nacht bis zum Monduntergang wach.
Ich war ganz froh, dass er noch nicht komplett aufgegangen war. Mein Tattoo und das Pentagramm hielten meine Wandlung zwar zurück, aber die Abstände zwischen den Spasmen im Rücken wurden immer kürzer, und ihre Intensität nahm von Mal zu Mal zu. Wenigstens war mein Körper so nett, mich auf diese Weise daran zu erinnern, dass er sich in Kürze in eine Wölfin verwandeln würde.
Rhoda öffnete, noch bevor ich überhaupt geklopft hatte. „Luna“, sagte sie. Ihre blau-weißen Augen musterten mich von oben bis unten und blieben dann auf Dmitri hängen. „Und Sie kenne ich noch nicht, glaube ich.“
„Das ist Dmitri, Oma“, sagte ich mit einem gezwungenen Lächeln. „Wir brauchen deine Hilfe.“
Sie schien sich die Sache einen Moment lang zu überlegen. Meine Großmutter war eine Meisterin der wenigen Worte und ließ sich nur zu ausschweifenden Kommentaren hinreißen, wenn sie Sunny und mich schimpfte. Schließlich verriet mir ihr Seufzer, dass ihre Entscheidung zu unseren Gunsten ausgefallen war.
„Dann kommt ihr wohl besser rein.“
Dmitri musste sich ducken, um durch die schmale Eingangstür in die Wohnung zu treten. Aber er tat es mit einer gewissen Anmut und putzte sich sogar vorher die Stiefel ab. „Schön haben Sie’s hier, Mrs Wilder.“
„Mein Name ist Swann“, antwortete sie ihm kurz. „Wilder war der verhängnisvolle Nachname des Monsters, das meine unglückselige Tochter geheiratet hat.“
„Monster meint sie doch eher metaphorisch, oder?“, flüsterte mir Dmitri zu.
Ich sah ihn ärgerlich an. „Lass die doofen Scherze.“
Meine Großmutter ging exakt bis zur Mitte ihres kleinen Wohnzimmers und drehte sich dann mit verschränkten Armen zu uns um. „Nun mal raus mit der Sprache, Luna. In was für einen Schlamassel hast du dich diesmal manövriert?“
Ich befahl der Fünfzehnjährigen in mir, sich nicht am Ton oder der Haltung meiner Großmutter aufzureiben, obwohl ich auch nach all den Jahren in beidem noch immer ihre Verachtung spüren konnte. Meine Bemühungen waren nur teilweise von Erfolg gekrönt, denn als ich mit einer Geste auf ihr jeansblaues Zweiersofa sagte: „Wollen wir uns nicht vielleicht setzen?“, hörten sich meine Worte so an wie die der fünfzehnjährigen Luna, die gerade mit Hausarrest bestraft worden war und nun ihren Freund nicht mehr treffen durfte.
„Luna, ich habe heute Nacht noch jede Menge anderer Dinge vor, ich würde also vorschlagen, dass du dich beeilst.“
„Verdammt, Oma, jetzt setz dich schon hin“, befahl ich. „Es wird nur eine Minute dauern.“
Sie warf mir einen zornigen Blick zu, zu dem nur abgehärtete Casterhexen in der Lage sind, zog dann aber rasch ihr Tuch enger um ihren Körper und setzte sich. Ich griff Dmitris Handgelenk und zog ihn herunter, sodass er sich neben mich setzte.
Dann erzählte ich meiner Großmutter die ganze Geschichte -angefangen bei Lilia bis hin zu Stephen Duncan und
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