Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
Marina …“ Er zitterte. „Ich kann nicht … dieses Monster. Ich werde nicht mehr dieses Monster sein.“
„Beruhigen Sie sich“, sagte ich. „Ehrlich. Ich verspreche Ihnen, dass Alistair Ihnen nichts mehr tun wird.“
Stephen lachte nur – es war ein unheimliches Lachen, trocken und hervorgewürgt. „Sie können mich nicht schützen, Detective. Aber versuchen Sie s ruhig.“ Er erhob sich aus seiner kauernden Haltung und setzte sich gerade hin. Als er ins Licht schaute, zogen sich seine Pupillen so stark zusammen, dass seine Augen fast komplett weiß zu sein schienen. „Es wird kommen. Ich kann es schon fühlen. Warten Sie nur.“
„Wann haben Sie herausgefunden, dass Ihr Vater … äh … dass er eine Vorliebe für Magie hat?“, fragte ich. Solange ich Stephen irgendwie beschäftigen konnte, stand die Sache zu meinen Gunsten.
„Wir verschwenden hier nur unsere Zeit“, brummte Dmitri.
„Sei ruhig“, zischte ich ihm zu.
„Vor einer langen Zeit“, sagte Stephen. „Ich bin in den Norden gegangen, zur Schule. Dort konnte er meine Markierung nicht so leicht anrufen. Aber dann starb meine Mutter, und ich musste zurück zu ihm. Wissen Sie, was er nach ihrer Beerdigung zu mir gesagt hat? Die Hure hätte nun gekriegt, was sie verdient habe … verdient habe …“ Plötzlich wölbte sich sein Rücken, und seine Gesichtszüge kräuselten sich. Es schien ein Mini-Erdbeben über seine Haut zu laufen, und ich wich instinktiv einen Schritt zurück.
„Ich hab versucht, Sie zu warnen“, stöhnte Stephen. „Ich hab s versucht. Er hat das Monster in mich gesetzt, und jetzt gibt es keinen Ausweg mehr für mich. Ich werde es nicht mehr los …“ Sein Gesicht verzerrte sich erneut, und als sein Körper dann von einem heftigen Krampf erfasst wurde, schrie er auf.
Plötzlich schienen Stephens Augen die Umwelt wieder normal zu fokussieren. „Gehen Sie!“ Seine Stimme war jetzt klar und verängstigt, aber menschlich. Wahrscheinlich hatte er so geklungen, bevor Alistair die Bestie in ihn gepflanzt hatte. „Er braucht noch eine. Verschwinden Sie lieber. Jetzt …“
Es erfasste ihn, noch bevor er den Satz beenden konnte. Unzählige Male hatte ich selbst schon die Wandlung durchgemacht. Ich kannte jedes Muskelzucken, jeden einzelnen stechenden Schmerz, wusste, wie furchterregend und gleichzeitig ekstatisch man sich wand und sich letztendlich in den Wolf verwandelte. Trotzdem hatte ich bis zu diesem Moment noch nie einem anderen Menschen dabei zugesehen.
Stephens Gesicht verlängerte sich im Kieferbereich, und im nächsten Moment fiel er vornüber und landete auf allen vieren.
In dieser Haltung zuckte sein Körper heftig und krampfte sich zusammen, bis aus der Hautoberfläche Haare sprossen und das blutige Shirt sowie die Hose von ihm abplatzten.
Dmitri ergriff meinen Arm. „Wir müssen hier schleunigst verschwinden.“
„Warte!“ Ich konnte meinen Blick nicht von Stephen abwenden. Er hatte sich nun vollständig gewandelt und ähnelte doch keinem der Werwölfe, die ich bisher gesehen hatte. Viel eher glich er den Vorstellungen der Menschen, die noch nie einen richtigen Werwolf zu Gesicht bekommen hatten: eingefallene Wangen, eine verlängerte Kieferpartie, ein Paar kurze, stummelige Ohren und ein grau geflecktes Fell, das einen unförmigen Körper und einen aufgeblähten Bauch bedeckte. Besonders auffällig waren die Zahnreihen. Aus seinem Kiefer ragten fünf Zentimeter lange, spitze Zähne, zwischen denen die rote Zunge an einer Seite aus dem Maul baumelte.
Der Werwolf richtete seine gelb-rosafarbenen Augen auf mich und presste ein feuchtes Knurren hervor, sodass schwarzer Speichel von den Angst einflößenden Zähnen tropfte.
„Luna“, zischte Dmitri in mein Ohr. „Mach keine plötzlichen Bewegungen, sondern geh langsam von ihm weg. Alles andere macht ihn nur verrückt.“
In diesem Moment war ich leider viel zu verängstigt, um Dmitri zu sagen, dass er ein unglaubliches Talent dafür hatte, stets schlaue Kommentare über das Offensichtliche zu machen. Er zog heftig an meinem Arm, und ich trat einen kleinen Schritt zurück. Dann noch einen. Und beim nächsten spürte ich schon, wie die etwas kühlere Luft aus dem ersten Stock meinen Hals kitzelte.
Stephen tapste auf seinen missgebildeten Pranken auf uns zu, und bei jedem Schritt kratzten seine gebogenen schwarzen Klauen auf dem blanken Holz des Dachfußbodens. „Geh weiter“, murmelte Dmitri. „Bleib jetzt bloß nicht stehen, Luna.“
Der
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