Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
zurück und hob ab. „Was?“
„Hmm … Detective Wilder?“
„Momentan nur Wilder, ohne Detective. Nein, schon gut, war ein Witz. Wer ist dran?“
„Ah … hier ist Pete Anderson, ID-Lab. Ich arbeite an der Identifizierung Ihrer Jane Doe.“
Ich musste mich selbst zu positiven Gedanken zwingen, damit ich Pete nicht zu Tode erschreckte. „Ach ja. Pete. Was gibts?“
„Haben Sie gerade Ihren Computer an?“
Ich stupste die Maus an, und im nächsten Augenblick erwachte der Monitor aus dem Ruhezustand. „Ja, hab ich.“
„Checken Sie mal Ihre Mails. Ihre Jane ist keine Doe mehr.“
Ich klickte auf die Datei, die Pete mir geschickt hatte, und sofort sprang ein Fenster mit einer digitalen Akte auf, die dazu noch im Nocturne City Police Department angelegt worden war. Jane Doe hatte einen Namen. Und eine Akte.
„Geboren als Lilia Desko. Eine Verhaftung wegen Drogen und zwei wegen …“
„Prostitution“, beendete ich seinen Satz. „Sind Sie wirklich sicher, dass das meine Jane Doe ist?“
„Ziemlich. Acht Treffer bei den Fingerabdruckidentifikationspunkten aus der Datenbank“, sagte er stolz.
Jetzt war sie also nicht mehr meine Jane Doe, sondern Lilia -aber nicht meine Lilia, denn ich ermittelte nicht mehr in dem Fall.
„Vielen Dank für Ihre gute Arbeit, Pete. Sie sind ein Schatz.“
„Hey, kein Problem“, sagte er, und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie in diesem Moment seine Ohren glühend rot wurden.
„Ach ja, Detective? Eine Sache gibt’s da noch.“
„Was denn?“
„Dr. Kronen hat die Leiche per ALS abgesucht und weitere Fingerabdrücke gefunden.“ Die Abkürzung ALS stand für Alternative Lichtquelle – Kronen schien über die normalen Standarduntersuchungen bei der Autopsie einer anonymen Prostituierten hinausgegangen zu sein. Vielleicht sollte ich mich öfter an seinem Arbeitsplatz übergeben.
„Ich schick Ihnen gleich die Datei rüber“, meinte Pete.
„Ist die Person, der die Fingerabdrücke gehören, in unserem System?“
„Oh ja“, erwiderte er. „Ausnahmsweise. Okay, jetzt sollten Sie es haben.“
Ich klickte auf die Datei, und im Handumdrehen erschien noch ein Gesicht auf meinem Bildschirm. Männlich, kantiges Gesicht. Auf der Nase hatte ein Bruch einen teuflischen Haken statt eines hässlichen Buckels hinterlassen. Struppige dunkelrote Haare und ein Biker-Bart á la Dr. Fu Man Chu in der gleichen Farbe. Dazu ein Blick, der verriet, dass der Kerl die Person hinter der Kamera sofort töten würde, wenn er nur die geringste Chance dazu hätte.
Irgendwie sexy.
„Detective? Haben Sie die Datei bekommen?“
Ich räusperte mich. „Dmitri Sandovsky? Ja.“ Ich überflog die digitale Akte. „Hier steht, dass er mit Lilia wegen Zuhälterei festgenommen wurde und später noch ein paarmal wegen Drogenbesitzes und -Verkaufs.“
„Die Klassiker“ stimmte Pete freudig ein. „Denken Sie, dass das Ihr Typ sein könnte?“
Ich schaute in Sandovskys Gesicht, betrachtete den harten Mund und den verrückten Schimmer in seinen großen, dunklen Augen. „Kann gut sein“, antwortete ich.
4
Als ich das Revier verließ, begrüßte mich die neblige Nacht mit beißend kalter Luft. Ich ließ den Fairlane an und fuhr ohne wirkliches Ziel Richtung Magnolia Boulevard.
Auf dem Beifahrersitz lag der Ausdruck von Sandovskys digitaler Akte und schien mich zu verspotten. Das Feld „Auch bekannt als“ war leer und unter „Letzte bekannte Adresse“ stand -wie sollte es auch anders sein – Unbekannt.
Nach Hause fahren. Das wäre die richtige Entscheidung in dieser Situation. Einfach nach Hause fahren, zwölf Stunden an der Matratze horchen, während der Suspendierung den Vollmond aussitzen und dann mit frischer Energie wieder zurück in den Dienst.
Doch neben mir wurde in regelmäßigen Abständen das zähnefletschende Gesicht von Sandovsky mit seinen tiefen grünen Augen von den vorbeihuschenden Straßenlaternen beleuchtet. Sein Bild stellte mir bohrende Fragen, auf die ich Antworten wollte: Warum hast du Lilia getötet? Warum ihr die Kehle herausgerissen und einen Zeigefinger als Trophäe behalten? Was, um Himmels willen, hat sie dir getan, dass du sie so bestialisch ermordet hast?
Würde ich ebenso erbarmungslos vorgehen können, wenn es darum ging, Sandovsky aufzuspüren und ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen?
Ich fuhr rechts ran und schaute mir den Ausdruck noch einmal genauer an. Laut Aktenvermerk war Sandovsky das letzte Mal in einem vergammelten Wohnblock im
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