Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
ich aufwachte, sah ich als Erstes die Anzeige meines Weckers, dessen blau glühende Zahlen mich beruhigten – es war erst drei Uhr dreiundzwanzig. Der Wind war stärker geworden und schlug das Rankgitter vor meinem Fenster ab und zu gegen die Mauer. Der ins Zimmer scheinende Mond wurde von dem Gitter aufgefächert und warf eigenartige Schattenmuster an die Wand.
Als ich mich auf den Rücken drehte, sah ich über mir den Kopf eines Mannes, der sich über mein Bett beugte. Noch bevor ich atmen oder schreien konnte, presste er mir seine Hand wie eine zentnerschwere Stahlplatte auf den Mund.
Ich trat mit den Beinen nach oben, versuchte meine Arme frei zu bekommen, aber durch meine schwere Steppdecke war ich wie ans Bett genagelt. Ich sah in sein Gesicht, das aber von einer schwarzen Skimaske verdeckt war, sodass ich nur zwei dunkel glänzende Augen ausmachen konnte. Er strahlte einen starken Geruch nach etwas Angekohltem aus, der fast meinen Geruchssinn betäubte.
Oh, das ist wirklich super, Luna. Jetzt pfeifst du dir schon so viele Tabletten rein, dass du nicht mal mitbekommst, wie sich ein perverser Freak in dein Zimmer schleicht, und erst wieder aufwachst, als er bereits fast auf dir sitzt.
„Keinen Mucks“, flüsterte der Typ mit einer hohen und geschmeidigen Stimme.
Eigentlich wollte ich sagen: Kann sowieso nicht reden, wenn du mir den Mund zuhältst, du Trottel – allerdings brachte ich nur so etwas wie „Kuurmphesoes!“ hervor.
Mit seiner freien Hand holte er plötzlich ein Messer aus einem Futteral hinter seinem Rücken hervor. Es hatte einen mattschwarzen Griff und war anscheinend eine dieser Sonderanfertigungen, die kein Licht reflektierten. Nachdem er die Hülle abgezogen hatte, drückte er mir die Spitze der Klinge direkt an den Hals. Ich fing an zu zittern. Erst leicht, aber schon bald so stark, dass ich die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren fürchtete.
„Wenn du dich weiter mit den Werwölfen, Stephen Duncan oder irgendeinem anderen Aspekt deines Falls beschäftigst“, fauchte mich die Maske an „dann werde ich dich in eine kleine, süße Puppe verwandeln – eine Puppe ohne Zunge.“ Die Klinge wanderte über meine Lippen. „Ohne Stimme.“ Sie fuhr an meiner Kehle herunter und tauchte scharf in meine Halsgrube ein. „Und ohne Herz.“ Er zog die Klinge kraftvoll weiter nach unten, schlitzte mein T-Shirt auf und hinterließ dabei einen dünnen Ritzer auf meiner Haut, der kurz über meiner linken Brust endete.
„Hast du das verstanden, Bulle?“, hauchte er mir entgegen.
Angst war normalerweise ein eher formloses Gefühl, dem man nicht von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat. Viel mehr schlich es sich lautlos an einen heran und ergriff einen, schlang einem die Arme um die Brust und ließ einem das Blut gefrieren, bis man sich nicht mehr bewegen konnte. In diesem Moment hatte mich die Angst gefesselt, und ich lag nur noch kalt und regungslos auf dem Bett. Plötzlich riss er die Bettdecke zurück, setzte sich auf mich und bohrte mit dem Messer tiefer in das Fleisch über meinem Herzen.
„Ich will nur sicherstellen, dass du nichts Dummes tust und jemandem von unserem kleinen Intermezzo hier erzählst“, zischte er mir zu und führte dabei meine linke Hand zu seinem Mund. Mein Arm war aber so steif wie der einer Leiche während der Totenstarre, sodass er erst ein paarmal kräftig daran ziehen musste, bis er wieder etwas beweglicher war. „So ist s gut.“ Dann rieb er meine Hand in dem Blut meiner Wunde und zog den Reißverschluss seiner schwarzen Nylonjacke auf. Sein nackter Oberkörper war mit Brandings überzogen, die im Mondlicht wie dunkle Blutgefäße aussahen.
Er führte meine blutverschmierte Handfläche an seinen Oberkörper und drückte sie auf seine Haut. Ich fühlte ein Zucken wie bei einer nicht enden wollenden elektrostatischen Entladung, und dann rollte der angekohlte Geruch in verzehnfachter Intensität über mich hinweg, sodass mein Magen revoltierte. Die magischen Elemente eines anderen zu berühren, kann man mit einem Blitzschlag vergleichen, aber als ob das noch nicht genug wäre, waren seine so pechschwarz wie ein Sturm in einer mondlosen Nacht.
In den Tiefen meines Geistes flammte ein kleines Licht auf, und ich erkannte mit erstaunlicher Klarheit, dass er sicher schon längst wieder verschwunden wäre, wenn er mich nur hätte einschüchtern und verletzen wollen. Außerdem konnte er kein Bluthexer sein, denn sonst hätte er sein eigenes Blut verwendet.
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