Nocturne City 02 - Blutfehde
antwortete ich. „Hör mal, Trevor, ich bin schon spät dran und muss jetzt zur Arbeit.“ Ob die Cornflakes überhaupt noch genießbar waren, wusste ich nicht, und eigentlich war ich auch nicht spät dran, aber Trevor am Morgen danach erleben zu müssen würde nur neue Schuldgefühle in mir auslösen. Keine Ahnung, was mit mir los war. Eigentlich sollte ich meine Zeit mit ihm doch genießen – mehr oder weniger zumindest. Durch die andauernde Grübelei über Trevor, mich und Dmitri fühlte ich mich mittlerweile fast wie eine dieser Großstadttussis, bei denen sich alles nur um das eine drehte.
Trevor kam die Treppe heruntergesaust und hielt mich am Ellbogen fest. Ich musste mir auf die Zunge beißen, um ihn nicht anzuknurren, denn die Wölfin in mir fasste seinen Griff als einen Versuch auf, mich zu dominieren.
„Musst du wirklich schon los?“
Ich küsste ihn auf die Wange. „Ich fürchte, ja.“
Er hielt meinen Arm immer noch fest. „Wir haben heute Abend einen Gig im Belladonna. Ist ne ziemlich große Sache für uns, und ich würde mich echt freuen, wenn du kommst.“
In meinem Kopf zählte ich kurz zusammen, wie viele Razzien die Jungs von den Drogen- und Sittendezernaten schon im Belladonna Club durchgeführt hatten, und verstand dann, warum es für Trevor eine große Sache war. Die Leute im Belladonna waren keine Schwätzer, sondern wirklich finstere Gestalten. Armer Trevor!
„Ich werds versuchen“, versprach ich ihm. „Jetzt muss ich aber wirklich los.“
Eilig schnappte ich mir meine Glock, die Marke und meine Jacke. Auf dem Weg zum Fairlane ging mir durch den Kopf, dass eine normale Frau nicht so glücklich darüber wäre, möglichst schnell von ihrem Freund wegzukommen. Zumindest nicht so glücklich, wie ich es in diesem Moment war.
4
Auf dem Weg zum Revier raste ich den Appleby Expressway entlang, fuhr dann aber schon im Zentrum ab, anstatt die übliche Ausfahrt zu nehmen. Durch den Umweg hoffte ich, mich noch etwas länger vor der Arbeit drücken zu können. Als ich an der Kreuzung Devere Street, Ecke Branch Street auf Grün wartete, klingelte mein Telefon. Die Nummer auf dem Display verriet mir, dass mich jemand aus der Gerichtsmedizin sprechen wollte. Ohne lange über die Strafe für Handygespräche am Steuer nachzudenken, die in Nocturne City immerhin zweihundert Dollar betrug, ging ich ran.
„Luna, Dr. Kronen hier“, meldete sich der Anrufer, als die Ampel auf Grün sprang. Ich legte den Gang ein und meisterte die nächste Kurve schwungvoll mit einer Hand am Steuer. Danach nahm ich das Handy ans andere Ohr und antwortete: „Was gibt’s, Bart?“
„Ich habe die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung von Ihrem Überdosisfall von gestern. Wenn Sie wollen, können Sie vorbeikommen.“
Obwohl mir ein Besuch im Leichenschauhaus von Nocturne City ungefähr so attraktiv erschien wie ein Badeurlaub im Gazastreifen, legte ich kurz entschlossen eine Hundertachtzig-Grad-Wendung über zwei Fahrbahnen hin und fuhr wieder zurück in Richtung Zentrum. „Bin schon auf dem Weg. Geben Sie mir zehn Minuten.“
Das Leichenschauhaus lag im Kellergeschoss unter den Labors des NCPD. Auf dem Weg zu Kronens Büro wehte mir neben dem aufdringlichen Verwesungsgeruch auch der Gestank von altem Formaldehyd entgegen. Selbst die riesigen Wandkühlschränke rochen erbärmlich.
Als ich ohne zu klopfen in sein Büro stürmte rutschte dem viel beschäftigten Gerichtsmediziner vor Schreck die Brille von der Nase. „Ah, Detective“, begrüßte er mich und begann, in einem Papierhaufen herumzukramen, der auf mich wie ein unentwirrbares Chaos aus alten und neuen Laborberichten und jeder Menge Sushi-Quittungen vom Eckimbiss wirkte. „Hier sind die Ergebnisse. Wie Sie sehen können …“, er öffnete die Mappe mit dem Bericht und winkte mich zu sich heran, „… haben wir im Blut des Mannes nichts gefunden, was untypisch für einen Junkie wäre.“
„Heroin?“, fragte ich.
„Heroin war es nicht“, antwortete Kronen und deutete im Diagramm des Berichts auf eine Zickzacklinie. „Das hier ist die grafische Darstellung einer -Droge, die ich bis jetzt noch nicht identifizieren konnte. Einige Anteile stimmen mit denen von Heroin überein. Vorerst würde ich daher auf eine nicht weitverbreitete Straßenmischung aus verschiedenen Drogen tippen.“
„Wahrscheinlich hat sich das Zeug nicht weiter verbreitet, weil alle Konsumenten einen qualvollen Tod sterben“, mutmaßte ich.
„Könnte sein“, stimmte
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