Nocturne City 03 - Todeshunger
gefährliche Situationen schnell zu erkennen, da ich andernfalls irgendwann auf der städtischen Müllkippe gelandet wäre. Es war offensichtlich, dass die Situation, in die ich mich manövriert hatte, in die Kategorie »äußerst gefährlich« gehörte.
»Wegen des Schlags auf den Kehlkopf vorhin …«, druckste ich eingeschüchtert herum, »… das war nichts Persönliches. In ein paar Tagen denkst du nicht mehr daran.«
»Miss Wilder«, rief Gerard. »Ich würde Ihnen gern diesen jungen Herrn vorstellen. Sein Name ist Pierre Maison. Vor einiger Zeit stand er kurz davor, einer der ganz Großen in Nocturne City zu werden. Dann tauchte ein gewisser Dmitri Sandovsky auf und schnappte Pierre die Freundin weg. Aufgrund der mit diesem Vorgang einhergehenden Erniedrigung hat unser Freund Pierre nicht nur seinen Rang im Rudel, sondern auch jegliche Aussicht auf eine bessere Zukunft verloren.« Gerard legte eine Pause ein und sah Pierre und mich mit einem bissigen Grinsen an. »Erzähl Miss Wilder doch mal, womit du dich jetzt beschäftigst, Pierre«, forderte ihn der Rudelführer mit einem strengen Blick auf.
»Ich wasche Teller in der Küche des Clubs.«
»Tragisch, dieser tiefe Fall eines einst so mächtigen Rudelmitglieds, nicht wahr – und alles wegen Ihres Freundes Sandovsky, Miss Wilder. Dass Pierre außerdem recht ungehalten über Ihre reichlich übereilte Diagnose eines Filzlausbefalls ist, muss ich nicht extra betonen, oder?«
Volltreffer! Viel schlimmer hätte es fast nicht mehr werden können. Ob Dmitri dem hässlichen Pierre tatsächlich die Freundin ausgespannt hatte, war mir in diesem Moment herzlich egal. Angesichts der vier übel riechenden Werwolfmännchen vor mir beschäftigte mich nur ein Gedanke: Wie konnte ich lebend aus dem Hauptquartier der Loups verschwinden?
»Wagt es nicht, mich anzufassen!«, knurrte ich. »Dmitri ist mein Gefährte. Wenn ihr mir auch nur ein Haar krümmt, reißt er euch die Köpfe ab.«
Pierre und die anderen beiden Loups begannen zu lachen, als sei ich ein besonders amüsantes Haustier. »Wer hat denn was von anfassen gesagt, Kleine?«, erwiderte Pierre leise und streichelte meine Wange mit dem Handrücken, woraufhin ich wütend zu ihm herumfuhr und nach seinen Fingern schnappte.
»Sehr aggressiv, wie mir scheint«, sagte Gerard. »Viel Glück, Pierre, und versau bitte nicht wieder den Teppich, ja?«
»Haltet sie fest«, sagte Pierre und holte ein Klappmesser aus der Jackentasche. »Ich schneide mir jetzt meine Genugtuung direkt aus deiner Haut, Baby, und schicke die getrockneten Fetzen an deinen Freund!«
»Oh, Hex noch mal«, fuhr ich ihn an. »Denkst du vielleicht, dein Gerede würde mir Angst machen?«
Pierre lächelte, aber sein Gesicht wirkte leblos und düster. »Ich denke schon. Ein wenig zumindest.«
Er hatte recht: Ich hatte Angst, schließlich trat ich nicht jeden Tag gegen drei überreizte Werwölfe auf einmal an. Zum Glück brachte die Angst für gewöhnlich auch eine meiner größten Stärken hervor: meinen Überlebenswillen.
Im Bruchteil einer Sekunde entschloss ich mich, Pierre nicht einmal die Chance zu geben, mich zu verletzen. Kaum war er nahe genug herangekommen, riss ich den Fuß hoch und verpasste ihm einen kräftigen Tritt zwischen die Beine. Ich war erfolgreich, denn im nächsten Augenblick krümmte sich Pierre am Boden und hielt die Hände vor sein Gemächt, das änderte aber nichts daran, dass ich immer noch in Louis’ und Marius’ Griff gefangen war.
»Hex noch mal!«, heulte Pierre. »Bringt das Miststück raus in die Gasse!«
»Vorwärts«, grunzte Louis und schob mich an den Tänzerinnen vorbei durch eine Feuertür, von der aus eine Metalltreppe in die Gasse hinter dem Club führte. Unter uns stand der Fairlane, der im Licht einer Straßenlaterne geduldig auf mich zu warten schien.
»Schöner Wagen«, bemerkte Marius.
»Kannst du dich nicht mal für zwei Sekunden auf deine Aufgabe konzentrieren, du idiotische Promenadenmischung?«, herrschte ihn Louis an. »Bring sie gefälligst die Treppe runter!«
»Ich tue nur meinen Job«, fauchte ich. »Rudelpolitik interessiert mich nicht.«
»Wir tun auch nur unseren Job, Lady«, sagte Marius. »Wenn dein Freund nicht hier aufgetaucht wäre, würde Pierre nicht in der Küche schuften, und die Loups würden immer noch ganz oben mitspielen.«
»Gut«, murmelte ich. »Ich hab s auf die nette Tour versucht, aber wie heißt es so schön? Wer nicht hören will, muss fühlen …« Mit aller
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