Nocturne City 03 - Todeshunger
bewusste Entscheidung treffen konnte, rollte ich mich einem Instinkt folgend nach links und blieb mitten in einem Strahl hellen Mondlichts auf dem Rücken liegen.
Sofort brachen die Mächte der Wandlung über mich herein und jagten abwechselnd stromstoßartige Schmerzen und euphorische Glücksgefühle durch meinen Körper. Ich grinste das Ding vor mir mit ausgefahrenen Reißzähnen und goldrot glänzenden Augen an, als ich mich voll und ganz dem Mondlicht hingab. »Fick dich«, grollte ich.
Wenn man sich nicht gegen die Verwandlung wehrt, kommt sie schnell und erwischt einen so ungestüm und erbarmungslos wie ein D-Zug, der ein auf den Gleisen stehen gebliebenes Auto zermalmt.
Schon schössen dunkle Klauen aus meinen verkrampften Fingern und Zehen, und ich hörte ein Knacken, als mein Kiefer aus seinem Gelenk sprang und in die Länge wuchs. Mein Rückgrat verlängerte sich mit lauten Geräuschen, und wenig später hatte mein Körper ganz und gar die Form einer schwarzen Wölfin angenommen.
Als der Schmerz verflog, stellte sich eine kurzzeitige Reizüberflutung ein, da die Sinnesorgane der Wölfin Aromen und Geräusche plötzlich auf einem Niveau wahrnahmen, das das unterdrückte menschliche Bewusstsein gnadenlos überforderte.
Mit einem Mal roch ich den Erdboden unter meinen Füßen, spürte das Wasser in den Nebelschwaden vor mir und hörte die Bewegungen der Nadelbäume im Wind. Inmitten all dieser neuen Sinneseindrücke spürte ich aber auch die Anwesenheit von etwas Kaltem, Feuchtem, das mich an verrostetes Eisen erinnerte und ganz und gar nicht in diesen Wald gehörte.
Durch die Verwandlung hatte ich Zeit gewonnen, aber spätestens jetzt, da ich vollkommen Wölfin war, hatte der Waffenstillstand ein Ende. Ohne lange zu überlegen, sprang ich auf und eilte davon. Diesmal hatte ich den Vorteil, mit den scharfen Augen einer Wölfin zu sehen und auf den unempfindlichen Pfoten eines wilden Tiers durch den Wald zu laufen. Mein Körper tat zwar weh, aber allmählich übernahm die Wölfin in mir die Kontrolle und drängte meine menschliche Seite in den Hintergrund, sodass der Schmerz schon nach kurzer Zeit keine Rolle mehr spielte. Jetzt war es Zeit zu laufen, zu jagen, zu fressen …
Das Ding nahm die Verfolgung auf, und ohne mein Tempo zu verringern, knurrte ich es an. Es wollte mein Revier, wollte mich jagen, als gelte meine Dominanz hier nicht, und ich durfte mich zwar nicht erwischen lassen, aber meinem Verfolger auch nichts von meiner Furcht verraten.
Während ich um mein Leben rannte, dachte ich darüber nach, was ich mit meiner Beute getan hätte, wäre ich die Verfolgerin gewesen. Je länger ich mir das ausmalte, desto stärker wurden der kupferartige Geschmack auf meiner Zunge und das Verlangen, selbst zu jagen. Als Erstes würde ich wahrscheinlich in die Flanke meines Opfers beißen, um es zu Fall zu bringen. Nach dem todbringenden Biss in die Kehle würde ich mich am Fleisch seines Brustkorbs laben und dabei seine Rippenknochen mit meinen riesigen Zähnen zermahlen.
Ich rannte schneller, immer noch den metallischen Geruch meines Jägers in der Nase, und seine fundamentale Andersartigkeit verwirrte meine Werwolfsinne.
Die entsetzliche Vorstellung von einem blutigen Ende trieb mich immer weiter und immer schneller voran, bis ich schließlich mit hängender Zunge aus dem Wald heraus auf eine weite Ebene mit Büschen, Sträuchern und hohen Wüstenfelsen zusteuerte. Spätestens jetzt musste ich meine letzten Reserven anbrechen, denn den Großteil meiner Energie hatte meine verweichlichte Menschengestalt aufgebraucht. Die stechenden Schmerzen in meiner Lunge verrieten mir, dass der Countdown zur völligen Erschöpfung begonnen hatte.
Ich kroch unter einen struppigen Salbeistrauch und wartete. In meinem Versteck konnte ich den Spieß umdrehen und von der angsterfüllten Gejagten zur dominanten Jägerin werden, um mich wenigstens zeitweise aus den Fängen der Angst zu befreien.
Am Waldrand entdeckte ich meinen Verfolger – auch durch die Augen der Wölfin betrachtet war er nicht viel mehr als eine dunkle Silhouette mit schemenhaften Umrissen. Die Kreatur hetzte knurrend an der ersten Baumreihe auf und ab und suchte nach ihrer Beute. Dann riss sie noch einmal das hungrige Maul auf, stieß einen markerschütternden Schrei aus, der von Raserei und Frustration kündete, ließ ihre Augen silbern aufblitzen und verschwand im Wald.
Ich keuchte, den Kopf auf den Vorderpfoten, und lauschte in die Nacht hinaus,
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