Nocturne City 03 - Todeshunger

sind aus ihren Leichensäcken gesprungen und waren plötzlich wieder quietschfidel und verdammt angriffslustig. Ich habe keine Ahnung, was oder wer sie in diesem Augenblick waren.«
    »Hmmm … ein echter Wendigo muss geboren werden«, murmelte Lucas nachdenklich. »Was du beschreibst, hört sich für mich nach Magie an. Von Zaubersprüchen und Beschwörungsritualen halte ich allerdings nicht viel.«
    Erstaunt zog ich die Brauen nach oben. »Was hat es dann mit den magischen Kreisen hinter den Blockhütten auf sich?«
    »Einige Mitglieder meines Clans glauben an dieses Zeug«, entgegnete Lucas. »Ich glaube nur an das, was ich sehe. Kann mich nicht daran erinnern, dass dieser Hokuspokus meiner Familie je geholfen hätte. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass dieser Quatsch nicht annähernd so effektiv ist wie ein volles Magazin und eine intakte Schusswaffe.« Er stand auf und hantierte am Lautstärkeregler der Anlage. »Was auch immer dich angegriffen hat, ein Wendigo war’s bestimmt nicht. Höchstwahrscheinlich hat sich einfach jemand einen schlechten Scherz erlaubt.«
    »Schlecht war er in jedem Fall. Statt über sie zu lachen, habe ich die Bestien gekillt, alle vier«, sagte ich. »Ich bin immer noch der Ansicht, dass sie verdammt viel Ähnlichkeit mit einem Wendigo hatten.«
    Ein langes, unbehagliches Schweigen breitete sich aus, während im Hintergrund Speedwagons »Take it on the run« vor sich hin dudelte.
    »Hast du etwa Angst, dass ich ausraste und dich bei lebendigem Leib in Stücke reiße?«, fragte Lucas schließlich mit einem Stirn runzeln.
    »Ich weiß nicht. Sagen wir einfach, ich hätte nach meinem Kommentar irgendeine Form des Aggressionsabbaus erwartet.«
    »Meine Leute haben nichts damit zu tun. Vielleicht war es irgendein wilder Clan, der mit Blutmagie experimentiert, aber meiner war es bestimmt nicht«, bekräftigte Lucas noch einmal und wechselte dann das Thema. »Wie ist das so als Werwölfin beim NCPD? Ich meine, du bekämpfst die Verbrechen der Rudel und stellst dich gegen die Blindheit der gewöhnlichen Menschen … in Nocturne müssen sie dich dafür hassen.«
    Ich zuckte zusammen, verzog aber sofort meinen Mund zu einem gezierten Lächeln, damit Lucas nicht sah, dass er meinen schwachen Punkt erwischt hatte. »Ja. Es gibt aber auch ein paar, die mich ganz in Ordnung finden.«
    »Wie dein Gefährte, der Nelkenzigaretten rauchende Werwolf?«
    »Woher weißt du das?«, fragte ich überrascht. Sein bemerkenswerter Geruchssinn erstaunte mich erneut, denn Dmitri war mir seit Tagen nicht besonders nahe gekommen und hatte mich maximal umarmt.
    »Hier draußen führen wir ein sehr entbehrungsreiches Leben und müssen mit dem klarkommen, was die Natur uns mit auf den Weg gegeben hat«, entgegnete Lucas. »Ohne vorzügliche Sinnesorgane hat man schlechte Karten.«
    Mit einer beiläufigen Geste strich er sich über das Ende seines Pferdeschwanzes und blickte mich dann wieder an.
    »Magie hin oder her, ich weiß, dass ein Wendigo die vier Werwölfe ermordet hat«, stocherte ich weiter, »und ich glaube, dass du mehr darüber weißt, als du zugeben willst.«
    »Es war ein wilder Clan«, antwortete Lucas genervt. »Das habe ich doch schon gesagt.«
    »Trotzdem frage ich dich noch einmal«, erwiderte ich. »Selbst ich als Insoli bekomme mit, wenn ein Rudel ein fremdes Revier übernimmt oder ein Rudelführer abgesetzt oder getötet wird. Tu also nicht so, als hättest du von der ganzen Sache nichts mitbekommen, und gib mir irgendetwas! Gib mir einen Namen, meinetwegen auch einen erfundenen …«
    »Die Wendigos sind seit jeher einsame Kreaturen«, begann Lucas und starrte dabei aus dem Fenster auf die kleine Siedlung. In seiner Stimme lag etwas Mysteriöses. Es war, als wolle er eine Legende wiedergeben, die man ihm früher mal, als er noch ein kleiner, verängstigter Junge gewesen war, erzählt hatte. »Sie kommen nur zum Jagen und zum Fressen zusammen, oder wenn sie sich paaren oder einen Clan gründen wollen. Wenn der letzte Erbe des Anführers gestorben ist, bricht der Clan auseinander, und die verbliebenen Mitglieder verstreuen sich in alle Winde. So entstehen die wilden Wendigos. Sie treffen sich in der Wildnis, bilden Banden und gehen zusammen auf die Jagd.«
    »Andere Frage: Mit meinem SWAT-Team bin ich auf ein kleines, aber extrem bösartiges Biest getroffen, das wie eine Ratte ausgesehen und nach Wendigo gerochen hat. Irgendeine Ahnung, was das gewesen sein könnte?«
    »Hmm.