Nocturne City 03 - Todeshunger
und die anheimelnde Atmosphäre seiner bequemen Unterkunft sprachen eine andere Sprache. Normalerweise fühlte ich mich nicht annähernd so wohl im Umgang mit Leuten, die ich gerade erst kennengelernt hatte – besonders nicht, wenn es sich um Vertreter einer bluttrinkenden Raubtierspezies handelte.
»Mach den Plattenspieler an, wenn du magst«, rief Lucas aus der Küche. Ich ließ mich nicht zweimal bitten und legte die Nadel auf die Platte. REO Speedwagon krächzten aus ein paar prähistorisch anmutenden Lautsprecherboxen.
Als die Platte lief, spähte ich durch einen Türspalt in das Schlafzimmer, das genauso aufgeräumt war wie der Rest des Wohnwagens. Das Bett war so exakt gemacht wie beim Militär, und in dem winzigen Schrank hingen ein paar faltenlose Anzughemden und eine Armeejacke. Den Rest des Zimmers konnte ich nicht einsehen.
»Eines meiner Lieblingslieder. Das da.«
Ich erschrak fast zu Tode, als Lucas direkt hinter mir sprach. »Bei den Göttern!«
Er lachte und stellte die beiden Gläser mit dem Zitroneneistee ab. »Du wirkst ziemlich angespannt, selbst für eine Werwölfin. Bekommst du keinen Fronturlaub beim NCPD?«
»Ich … es geht mir gut.«
»Hast du einen Freund?«
»Wenn du es genau wissen willst: Ja.«
»So wie du aussiehst, versteht er sein Handwerk nicht.« Lucas nahm sein Glas und schüttete den Eistee in einem Zug hinunter. Um nicht auf seinen Ausspruch eingehen zu müssen, tat ich es ihm nach. Leider hatte ich nicht daran gedacht, dass mein Rachen so trocken wie der ausgedorrte Waldboden vor der Tür war, und verschluckte mich prompt. Ein Eiswürfel war mir samt dem Bodensatz im Halse stecken geblieben, sodass ich würgen musste.
Lucas streckte den Arm herüber und klopfte mir zwischen den Schulterblättern auf den Rücken. Seine Hand war immer noch sehr warm, und als sich der Eiswürfel gelöst hatte und ich zu husten begann, rang ich mir ein dankbares Lächeln ab. »Dank … dir …«, stotterte ich, als ich wieder atmen konnte. Er zog grinsend einen Mundwinkel hoch.
»Schöne Frauen zu retten ist eins meiner Hobbys. Also: nicht der Rede wert.«
Mit einem Räuspern versuchte ich, meine Verlegenheit zu überspielen. Nicht nur mit seinen Kommentaren hatte mich Lucas aus der Fassung gebracht, auch sein Äußeres verwirrte mich immer mehr. Er roch wie die Killerbestien aus dem Leichenschauhaus, sah aber viel zu gut aus, als dass ich die Gefahr, die unter seiner Haut lauerte, wahrhaben wollte.
Verdammt, schoss es mir durch den Kopf. Eigentlich sollte ich nicht auf solche Dinge achten, denn ich bin mit Dmitri zusammen. Ich bin, wie er es gern und oft betonte, seine Partnerin.
Denk einfach immer an deinen Partner, Wilder! Dann wird auch ein süßer Gestaltwandler kein Problem für dich sein!
»Nun …«, unterbrach Lucas meine Überlegungen. »Du wolltest also mehr über die wilden Wendigos wissen.«
»Pass auf«, begann ich. »Ich weiß, dass die Wendigos für die Morde verantwortlich sind, die ich untersuche. Ich weiß auch, dass sie Werwölfe jagen, die Herzen ihrer Opfer fressen und sie dann in Zombies – oder wie auch immer du diese Wesen nennen willst – verwandeln. Ich weiß es, weil mich diese blutrünstigen Untoten im Leichenschauhaus angegriffen haben und um ein Haar in ihre Reihen aufgenommen hätten. Was ich allerdings noch nicht weiß, ist das Warum. Wenn du also nicht willst, dass das NCPD eure Siedlung unter die Lupe nimmt oder die Zwischenfälle in Nocturne untersucht, die mit euren Aufträgen zusammenhängen, dann wirst du mir bei dieser Sache helfen. Kapiert?«
Lucas nahm sein Zitronenstückchen aus seinem Glas in den Mund und schüttelte sich, als die Säure sich über seine Geschmacksknospen legte. »Setzt du immer auf Drohungen?«
»Versuch nicht, vom Thema abzulenken«, blaffte ich. »Du weißt, dass ich euch das Leben ziemlich schwer machen kann, wenn du nicht mit der Wahrheit rausrückst.«
»Schon gut, ich hab’s ja verstanden«, entgegnete Lucas und räkelte sich, wobei sein Arm auf der Sofalehne hinter meinem Kopf verschwand. Sofort ergriff ich die Flucht und setzte mich auf den Stuhl neben dem Plattenspieler. Attraktiv mochte er sein, vertrauenswürdig aber mitnichten. »Ich werde dir erzählen, was ich weiß, aber erst musst du mir ein paar Sachen erklären«, sagte er. »Du meintest, du wurdest im Leichenschauhaus von ein paar Wendigos angegriffen.«
»Ich hasse es, mich wiederholen zu müssen«, brummelte ich. »Es waren tote Werwölfe. Sie
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