Nördlich des Weltuntergangs
Umland auch wirklich zu Assers Besitz gehörten. Dann zündete er sich eine Zigar re an und sprach feierlich:
»Teufel noch mal. Hier werde ich die Kirche hinstel len.«
Eemeli Toropainen maß mithilfe des Küsters die Kirche von Kuortane aus. Er hatte ein Zwanzig-Meter-Maßband und die Baupläne, die er im Museum für Baukunst gefunden hatte, mitgebracht.
Eemeli überprüfte die Abmessungen der Kirche: Die Grundform ergab in Ost-West-Richtung eine Länge von 35,93 Metern, in Nord-Süd-Richtung 36,02 Meter. Der Saal war geräumig und offen, auch von den hintersten Bänken konnte man die Kanzel und fast von jedem Platz den Altar sehen.
Von außen betrachtet, wirkte die Kirche trotz ihrer Vieleckigkeit weich, was durch die Walmdächer und den aufgesetzten Dachreiter, der in einer schindelbedeckten Zwiebel auslief, noch betont wurde. Ein gut proportio niertes Bauwerk, das sich nach Eemelis Meinung ausge zeichnet als Vorbild für sein eigenes Projekt eignete.
Freilich war die Kirche für den privaten Zweck ein wenig groß, sie fasste tausendzweihundert An dachtsteilnehmer. Eemeli Toropainen sagte sich, dass seine Kirche nicht ganz diese Dimensionen haben muss-te, zumal er bisher keinen einzigen Besucher anzubieten hatte. Mit achthundert Plätzen wäre Assers letztem Willen bestimmt Genüge getan.
Eemeli machte Fotos mit der Schnellkamera. Er er forschte zusammen mit dem Küster die Strukturen des Gebäudes und beklopfte die Wölbungseinschalung, er wollte herausfinden, wie die Balken eingeklinkt und wie dicht die Dachstühle gesetzt waren, wie Hakola vor über zweihundert Jahren seine Festigkeitsberechnungen angestellt hatte.
»Sie sind anscheinend ein Architekturexperte. Kom-men Sie vom Museumsamt?«, fragte ihn der Küster, als sie unter dem Fußboden der Sakristei herumkrochen.
Eemeli erklärte, er sei der Direktor einer Kirchenstif tung. Er wollte noch hinzufügen, dass er außerdem eigentlich Sägetechniker und der Direktor der ehemali gen Nordischen Holz-Haus AG sei, dachte sich dann aber, dass sein persönlicher Hintergrund den Küster eigentlich nichts anging.
Als Eemeli Toropainen aus Kuortane zurückgekehrt war, richtete er sich in Assers Sterbezimmer in Kal monmäki ein provisorisches Baubüro ein. Zuletzt hatte er sich in Vantaa aufgehalten, hatte bei einer mitfühlen den Dame in deren Zweizimmer-Mietwohnung gelebt, die Pleitewelle im Bauwesen hatte ihn dorthin gespült. Seine Frau wohnte nach wie vor in Vääksy, dem Standort der ehemaligen Fabrik, im einst gemeinsamen Eigenheim, das vom Zusammenbruch der Firma verschont geblie ben war, weil es nicht als Sicherheit für die Kredite gedient hatte. Die Scheidung war passenderweise in derselben Woche ausgesprochen worden, in der die Firma Pleite gegangen war. Bei der Trauer hatten sie gespart: Eemeli hatte sowohl den Konkurs als auch die Ehescheidung allein auf seine Kappe genommen. Er und seine Frau hatten sich in Freundschaft getrennt, und auch der Holzbranche weinte er keine Träne nach.
Aus Mitteln der Stiftung schaffte Eemeli für sein Büro die notwendigste Ausrüstung an: einen Kopierer, Zei chengerät, Aktenordner. Er legte die Baupläne der Kir che von Kuortane in den Kopierer und verkleinerte den Maßstab auf das Verhältnis 2:3. Dadurch verkürzte sich die Kirche von sechsunddreißig auf vierundzwanzig Meter, und die Anzahl der Plätze verringerte sich – grob gerechnet – von tausendzweihundert auf achthundert. Die Höhe ließ sich nicht in demselben Maßstab vermin dern, denn dann wären die Wände im Hinblick auf die Nutzung des Gebäudes zu niedrig geworden. So wählte Eemeli dabei das Verhältnis 3:4, das er auch auf den Dachreiter und die Zwiebel des Turms übertrug.
Baumeister Antti Hakola hatte die Außenwände der Kirche seinerzeit nach ostbottnischer Manier trichter förmig abgeschrägt. Dadurch neigte sich die Wand gerade so weit nach außen, dass es zu sehen war, ohne allzu auffällig zu wirken. Mit anderen Worten, der un terste Balken der Wand saß um eine Balkenstärke wei ter innen als der oberste, das Gebäude weitete sich also im oberen Teil. Eemeli Toropainen dagegen zeichnete seine eigene Kirche ohne Schräge, und das nicht etwa aus mangelndem Vertrauen in seine Zimmermannsfä higkeiten, sondern weil er aufrechte Wände lieber moch te.
Als er den Antrag für die Baugenehmigung fertig hat-te, nahm er Kontakt zum Vorsitzenden des Bauaus schusses von Sotkamo auf und lud ihn zu sich
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