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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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weil sie so lange davon unterdrückt wurde. Was wir heute erleben, ist die Rache der Wissenschaft am Spirituellen. Verstand gegen Seele, versteht ihr. Es ist so wie mit der Materie und der Antimaterie im Weltall. Die Materie kann man wahrnehmen, aber die Antimaterie nicht. Trotzdem muss sie da sein, weil die Materie ohne sie nicht da sein könnte. Nichts existiert ohne sein Gegenteil. Für jedes Naturgesetz gibt es eine Ausnahme. So viele Ja wie Nein. Positiv geladene Protonen und negativ geladene Elektronen gleichen sich aus.» River wischte mit dem Zeigefinger ein paar weiße Krümel vom Papier und rieb sie sich aufs Zahnfleisch. «Es gibt Dinge, die die Öffentlichkeit ignoriert, weil sie sich nicht in unsere vorgefertigten Schubladen stecken lassen. Übersinnliche Dinge.»
    «Astrologie!» Julia schwenkte den Zeigefinger. «Daran glaubt die Öffentlichkeit, sonst würde es ja keine Tageshoroskope in den Zeitungen geben.»
    «Zeitungshoroskope? Scheiß auf das Zeug. Obwohl ich es grundsätzlich für gut möglich halte, dass es irgendeine Macht gibt, die bei unserer Geburt Einfluss auf unseren Charakter nimmt, und zufällig kann man diese Macht anhand von Sternenkonstellationen messen. Ich sage: Wer weiß, ob an Horoskopen was dran ist. Wer weiß. Solange etwas nicht bewiesen ist, muss ich nicht dran glauben. Aber ich kann es auch nicht pauschal leugnen.»
    Philip schniefte. «Monsieur Samedi hat einiges bewiesen, finde ich, was unglaublich ist. Ich meine, was da passiert, kann auch nicht in meinen Kopf rein. Aber ich hab es ja erlebt. Wir waren ja alle dabei.»
    «Eben, es gibt Beweise! Aber die Öffentlichkeit vertuscht sie lieber. Damit lässt es sich leichter leben. Wir können alles verstehen, wenn wir wollen – so bequem machen wir es uns.»
    «Du hast echt furchtbare Fingernägel.» Julia nahm seine Daumen in Augenschein, Nino ballte die Fäuste. Wenn es etwas gab, wofür er sich schämte, dann war es sein Nägelkauen. Er machte es zum Glück nur an den Daumen, warum auch immer.
    «Knabberst du etwa da dran?», flüsterte sie mit aufgesetzter Empörung.
    «Das müssen andere gewesen sein …»
    «Wir müssen aufhören, alles verstehen zu wollen. Unerklärliche Dinge sind da, sie beeinflussen unser Leben, sie sind das Leben! Das ist es, was Monsieur Samedi uns erklären will.» River wandte sich an Julia, die begonnen hatte, Nino in die Finger zu beißen. «Was ist jetzt, wir hatten doch was vor.»
    Ein wenig paranoid hob Julia den Kopf, seine Hände noch immer mit ihren knetend. «Ach so, das! Ja! Lass uns loslegen.»

[zur Inhaltsübersicht]
8 .
    I ch brauche einen Stift. Einen Filzstift am besten», sagte River.
    Julia rollte sich vom Bett und holte einen dicken Edding von ihrem Schreibtisch, während River einen schwarzen Zettel aus seiner Hosentasche kramte. Bedächtig faltete er ihn auseinander – ein merkwürdiges, kompliziert aussehendes Symbol in Weiß war darauf abgebildet. Mit Julias Edding begann er alle Buchstaben des Alphabets und alle Zahlen von Null bis Neun ringsum auf ein Blatt Papier zu schreiben. Dann kopierte er das Symbol in die Mitte.
    Nino blickte von Julia zu Philip. «Ist das euer Ernst?»
    «Es hat echt funktioniert, letztes Mal», murmelte Philip. «Du warst ja nicht mehr da, bei Monsieur Samedi. Ich sag’s dir, es …»
    «… sind Zaubertricks! Ihr könnt doch nicht ernsthaft daran glauben.»
    River schüttelte den Kopf, ohne von seiner Skizze aufzublicken. «Total blind.»
    «Ich bin blind?»
    «Ja, du bist blind.»
    «Hey, Jungs, Jungs! Beruhigt euch.» Julia drückte beiden theatralisch eine Hand auf die Brust. Dann atmete sie durch und sah Nino in die Augen. «Also. Du kannst mitmachen. Ich würde mich freuen. Oder du gehst. Aber vermies mir nicht die Laune.»
    Er spürte, wie ein Lächeln in seinen Mundwinkeln juckte. «Na gut.»
    «Du sollst dich nicht drüber lustig machen!»
    Er zuckte die Schultern. «Wie du willst.»
    «Wegen ihm wird es nicht funktionieren!» Ärgerlich machte River den Edding wieder zu und steckte den schwarzen Zettel ein.
    Nino ließ sich in die Kissen sinken. «Keine Sorge, auf mich wirst du es nicht schieben können.»
     
    Den schwarzen Zettel mit dem Symbol hatte River von Monsieur Samedi gekauft, angeblich ein magisches Zeichen, das unerlässlich war, um Geister zu rufen, und schon seit dem 14 . Jahrhundert verwendet wurde. Nino verkniff sich die Frage, ob es im 14 . Jahrhundert bereits Gläserrücken gegeben hatte.
    Einigermaßen

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