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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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«Dann treiben wir Milch für dich auf.»
    «Hast du auch Durst?»
    «Ein bisschen.»
    «Aber auf Milch?»
    Er überlegte. «Jetzt, wo du mir die Geschichte von den Kätzchen erzählt hast, schon ein bisschen.»
    «Aber nicht schon vorher?»
    Er schüttelte den Kopf.
    «Dann ist das etwas, das
ich
will? Aber wie hast du das gemacht?»
    «Nicht ich, du hast das gemacht. Mit deinem Traum.»
     
    Gegenüber der Tiefgarage gab es einen Supermarkt. Er schlug vor, allein hinüberzugehen und Milch zu kaufen, aber Noir wollte nicht im Auto bleiben, also gingen sie zusammen.
    Inzwischen fiel der Regen in Strömen. Passanten, die keinen Schirm dabeihatten, stellten sich an Cafés und Geschäften unter. Auch der Supermarkt war überfüllt, was Nino nur recht war. Noir hielt sich an seiner Hüfte fest und ging direkt hinter ihm, um nicht zu oft angerempelt zu werden.
    Als sie am Kühlregal ankamen, griff Noir nach mehreren Milchflaschen und -tüten, bevor sie sich für eine entschied, den Verschluss aufschraubte und zu trinken begann. Sie trank wie eine Verdurstende, bekleckerte ihre Kleider und wischte sich danach übers Kinn.
    «Nicht süß genug», murmelte sie. Gegenüber standen Tetrapacks mit Kondensmilch. Sie riss eins auf und trank abwechselnd Kondensmilch und Frischmilch. Nervös sah Nino sich um, aber keiner nahm Notiz von ihnen. Als Noir ihm die Milch anbot, trank auch er und stellte sich das Bilderbuch vor, in dem die Kätzchen mit den verschiedenfarbigen Schleifen die dicke Milch schleckten. Er spürte ihre Freude, als wäre es seine eigene.
    «Das gibt es ja wohl nicht.» Eine Angestellte gaffte ihn über den Rand ihrer Brille an.
    Nino stammelte eine Entschuldigung, schaffte es gerade noch, die halbgeleerte Milch auf einem Regal abzustellen, und rannte an Noirs Hand Richtung Ausgang. Vor den Kassen waren lange Schlangen. Er und Noir kletterten über die Absperrungen nach draußen. Niemand hielt sie auf. Die Welt hatte sich in ein vor Schreck erstarrtes Kaninchen verwandelt, das sie nach Belieben streicheln durften.
    Obwohl es erst Mittag sein konnte, war der Himmel grau wie Granit, und alles glänzte vor dunkler Nässe. In der Tiefgarage sprang Noir in seine Arme und wischte sich ihren klebrigen Mund an seinem Kragen ab. Er trug sie zum Auto, öffnete die Fahrertür und setzte sie auf den Sitz. Er arrangierte ihre Beine und Arme wie die einer großen, beweglichen Puppe, ohne zu wissen oder darüber nachzudenken, warum dieses Spiel ihnen beiden so gefiel. Einen Moment verweilte er kniend vor der Autotür und strich ihr das Haar hinters Ohr.
    «Ich weiß, was wir jetzt tun», sagte er.
    Ihr mildes Lächeln blieb unverändert. Als sei ihr ganz egal, was sie taten, solange er bei ihr blieb.
    «Ich muss immer mit dir schlafen», sagte sie. «Sonst höre ich auf zu existieren.»
    Er nickte ernst. «Ich will nicht, dass du mich brauchst, wie du ihn gebraucht hast. Ich will nicht, dass du Schmerzen hast, wenn du von mir getrennt bist. Ich will, dass du nur aus freien Stücken bei mir bleibst.»
    Ihr fielen ein paar Tränen aus den Augen, wie Wundflüssigkeit aus einer offenen Verletzung. Nino streichelte ihre Wange. Dann schloss er die Tür und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
    «Wohin fahren wir?»
    «Zu jemandem, der uns helfen wird.» Er zog sein Handy aus der Hosentasche und suchte Julias Nummer, während Noir den Motor startete.

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27 .
    J ulia war so verwundert über seinen Anruf, als sei er schon vor langer Zeit gestorben. Wo er denn stecke, wie es ihm ginge, was passiert sei – ihre Fragen überschlugen sich, ohne ihm Zeit zum Antworten zu lassen.
    «Kennst du Monas Adresse?», fiel er ihr ins Wort.
    Irritiert verneinte Julia. Aber sie konnte den Weg zu Monas Haus von einem naheliegenden S-Bahnhof beschreiben. Als er wusste, was er wissen wollte, wimmelte er Julia ab und legte auf. Es war merkwürdig, dass es sie noch gab – diese andere Welt, durch die er hindurchgebrochen war wie durch eine Leinwand.
    Sie brauchten eine halbe Stunde durch die Innenstadt, bis sie den S-Bahnhof erreichten. Zwischen alten Kastanien und Eichen blitzten die Fassaden prächtiger Villen auf.
    Das Haus, das Julia beschrieben hatte, stand an einer Straßenecke. Außer ein paar stuckverzierten Bogenfenstern konnte man von ihm nicht viel erkennen, ein von Efeu überwucherter Eisenzaun schirmte neugierige Blicke ab.
    Sie parkten am Bürgersteig und näherten sich dem mannshohen Eingangstor. An der Klingel stand

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