Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
Vom Netzwerk:
und streichelte damit seine Lippen. Herr Bandmann lugte
wieder zwischen seinen Aktenmauern herüber und glotzte
blöde. In Benno zerriß etwas. Lachend streckte er
seinem Kollegen die Zunge heraus, packte seine Sachen und ging
nach Hause, obwohl es noch lange nicht die Zeit dazu war. Er
hätte nicht länger mit diesem aufdringlichen Kerl in
einem Raum sitzen können. So gesehen, war seine Flucht
nichts anderes als ein Akt der Notwehr.
    Das Wetter war schön, und deshalb ging er zum
Melaten-Friedhof. Hier herrschte Friede. Niemand sah ihn seltsam
an. Hier hatte er jener Schülerin Anträge gemacht, in
die er unsterblich verliebt gewesen war.
    Vor Jahrzehnten.
    Leider war sie nicht dabei gewesen.
    In ihrer Gegenwart hätte er sich nicht getraut.
    Während des Studiums war er ihr noch ein- oder zweimal
begegnet. Sie hatte einen anderen genommen. Der seine
Anträge wohl in ihrer Anwesenheit gemacht hatte. Am liebsten
hätte er sich damals umgebracht. Seine Eltern verstanden ihn
nicht. Er hatte doch alles, was er haben wollte. Jeder Wunsch war
ihm erfüllt worden. Nein, heute war es nicht gut, hier zu
sitzen. Der Friede war nur ein Schemen gewesen, eine dünne
Decke, unter der es waberte, eine Decke mit einem Gesicht. Er sah
das Gesicht, aber er kannte es nicht. Er sprang auf und lief zum
Eingang zurück.
     
    »NACH DEM FEIERABEND FUHR ich in die Innenstadt, fand
die angegebene Adresse schnell, doch zu meiner großen
Enttäuschung befand sich in dem Ladenlokal kein Antiquariat,
sondern ein Sportmodengeschäft. Ich verglich die Adresse
mehrmals mit der, die ich mir gestern aufgeschrieben hatte. Da
gab es keinen Zweifel. Das Antiquariat existierte nicht mehr! Es
klingt bestimmt dumm, aber in diesem Augenblick hatte ich zum
ersten Mal das Gefühl, als würde ich absichtlich an dem
Erreichen meines Ziels gehindert. Daher zögerte ich. Sollte
ich umdrehen und mein privates Rätsel als aufgeklärt
betrachten? Schließlich wußte ich, wie die vier
Nonnen umgekommen waren. Ursprünglich hatte ich nicht mehr
in Erfahrung bringen wollen.
    Wenn ich damals umgekehrt wäre, säßen wir
beide jetzt nicht in dieser Kneipe, und alles wäre so, wie
es immer gewesen war. Ich bitte Sie: Haben Sie noch etwas Geduld
mit mir! Das alles hilft mir, ein klares Bild von den Ereignissen
zu schaffen, auch wenn bisher noch nicht viel geschehen
ist.«
    Das stimmte allerdings. Ich bereute es allmählich,
mitgegangen zu sein. Warum erzählte er mir alle diese
Belanglosigkeiten? Ich konnte keinen Sinn darin erkennen, aber
ich wollte nicht unhöflich sein, und so hörte ich
weiter zu.
    »Ich stand also vor dem Sportladen und überlegte,
was zu tun sei. Vielleicht wußte dort drinnen jemand etwas
über den Verbleib des antiquarischen Vormieters. Ich trat
ein.
    Ein strahlend braungebrannter Jüngling mit
wohlgefülltem Muskelshirt, blondierter Dauerwelle und
Goldkettchen auf der offenherzigen Haarbrust kam auf mich
zugetrippelt. ›Hei! Was kann ich für dich
tun?‹ fragte er überfreundlich.
    Ich bin nicht gerade sportlich, und eine solche Umgebung ist
mir zuwider. Ich mußte mich regelrecht überwinden,
dieser fleischgewordenen Gesundheitskultur mein Anliegen zu
erläutern. Allein der Geruch von Gummi, Kunstfasern und
Schweiß erregte Übelkeit in mir. Er gemahnte an den
Turnunterricht während meiner Schulzeit.
    ›Tja, dieser Buchladen.‹ Der Beau bleckte sein
makellos weißes Gebiß. ›Mann, wie das hier
gestunken hat! Nach verstaubtem Papier und so. Konnte man keinem
Kunden zumuten. Wir mußten hier erst mal vier Wochen
lüften. Ich kann dir sagen! Aber keine Angst. Brauchst nicht
so entsetzt zu gucken! Wir haben den Kammerjäger geholt
– es gibt bestimmt kein Ungeziefer mehr hier.‹
    ›Und wo ist das Antiquariat jetzt?‹ fragte
ich.
    Der Schönling verlor sein Zahnpastalächeln.
›Wohin… wohin… Nirgendwohin.‹
    ›Wie darf ich das verstehen?‹ fragte ich.
    ›Ich glaub, der Typ hat ’nen schweren Herzinfarkt
gehabt‹, sagte die Sportskanone. ›Kommt vom zu
vielen Rumsitzen in staubiger Luft, wenn du mich fragst.
Jedenfalls hat er sich dann zur Ruhe gesetzt.‹
    ›Haben Sie eventuell seine Adresse?‹
    ›Mann, du hast Nerven! Was willst du denn von dem? Der
pfeift doch aus dem letzten Loch.‹
    ›Haben Sie nun die Adresse oder nicht?‹
    ›Herrgott, sicher, irgendwo hab ich die. Falls was zu
regeln ist. Er hat sie mir hiergelassen. Aber glaub nur nicht,
daß ich

Weitere Kostenlose Bücher