Nooteboom, Cees
ist das von Hufen auf Stein, aber ich sehe noch nicht, woher es kommt. Das Licht ist südlich, mediterran. Es fällt von oben herein, aus hohen Fenstern. Es scheint auf die Mauern, die die Farbe sehr hellen Sandes haben. Keinerlei Verzierung, keine weiteren Farben. Ich sehe einen leeren Saal, allerfrüheste Gotik, der gewollte ärmliche Eindruck zisterziensischer Kargheit, verstärkt durch die Höhe. Das Geräusch kommt um die Ecke, Getrappel. Keine Hufe, sondern Hüfchen. Dann sehe ich die ersten Esel. Eine kleine Herde, sechs, sieben graue Tiere, fremd in dem kahlen, feierlichen Raum. Es dauert etwas, bis mir klar wird, was so merkwürdig an ihnen ist. Die Haltung. Ihre Hälse sind nicht gebeugt, sie grasen nicht. Stein kann man nicht fressen. In Spanien habe ich einen Esel als Nachbarn, er hat ein ganzes Feld zum Abgrasen. Das ist seine Aufgabe: das Feld abzugrasen. Er wacht morgens inmitten seines Futters auf und fängt damit an. Ich kenne ihn nicht anders. Nach dem Winter kann er wieder von vorn beginnen, er wird das Feld kahlfressen, bis er zusammenbricht, der Tod des Sisyphus. Die Esel hier haben keine Aufgabe. Wenn sie stehenbleiben, wird die Stille unerträglich. Einer setzt sich in Bewegung, die anderen folgen. Das Geräusch von achtundzwanzig Hufen auf dem mittelalterlichen Stein ist eine Komposition, ein unsichtbarer Komponist hat es Note für Note niedergeschrieben, ein kurzer Trab, Stille, ein paar Schritte, rennen, bis sie selbst atemlos von dem Geräusch werden, das sie in den hohen Sälen erzeugen. Einer muß pinkeln, stemmt die Hinterbeine nach hinten in einer Haltung großer Spannung, der Schwall klingt wieein Bergbach, weil die anderen sich derweil nicht vom Fleck rühren. Dann laufen sie wieder, eine Bewegung, die nirgendwo hinführt. Ich sehe sie auf drei Monitoren, das scharfe Licht zeichnet Nuancen in ihr graues Fell, die Ohren ragen wie Antennen in die Höhe, die Kratzer, die die kleinen Hufe auf den glänzenden Pflastersteinen machen, ihr ängstliches Stehenbleiben, das Fehlen eines Ziels, die erneute Bewegung. Ich weiß, es ist etwas von Menschen Erdachtes, weiß, daß Bild und Ton für mich erdacht sind, daß der Raum, den ich sehe, nicht der Raum ist, in dem ich mich befinde, daß ich sie sehen kann, sie mich aber nicht. Wenn ich die Augen schließe, höre ich sie, dann und wann schnaubt einer, ein Windstoß, der durch den Saal geht. Iahen tun sie nicht. Jemand hat eine Bedeutung gewollt, etwas Uneigentliches, und sie führen es aus, sieben Esel im Papstpalast zu Avignon. Der einzige Reim, den ich mir darauf machen kann, sind sieben schweigende Päpste in einem Stall ohne Heu, die alle derselben Frage ohne Antwort mit ihren beschuhten Füßen Gestalt geben.
Garten
D er Tempel ist uralt, der Garten, der kein Garten ist, liegt hier schon seit fünfhundert Jahren. Die Felsen sind Berge, die Sträucher ferne Wälder. Wenn man daran nicht glaubt, sollte man nicht herkommen. Ich war schon vor Jahren hier, jedes Splittkorn ist noch dasselbe. Der Splitt ist Wasser, ich sehe, wie es schaukelt und glänzt. In der Mitte eine Insel, eine weibliche Schildkröte aus Stein. Eine subtilere Täuschung gibt es nicht. Die kleinere Insel, die neben der Schildkröte schwimmt, ist ihr Kind. Ich blicke auf die geharkten Splittwellen. Sie bewegen sich auf eine weitere, größere Insel zu, die Kranich heißt. Alles bedeutet etwas anderes, und alles bedeutet sich selbst. Ein Kranich ist ein Kranich. Wer die Flügel nicht sieht, ist verrückt.
Die Schildkröte sucht den Boden des Ozeans, den Abgrund des Bösen, in dem man ertrinken kann, der Kranich will fort von der Welt. Wer willst du sein? Achte auf das Schiff, wie es über die steinernen Wellen fährt. Leben bewegt sich nur in eine Richtung. Das Wasser, das alles weiß, fließt in den nächsten Garten, es hat Schildkröte und Kranich versöhnt, es fließt als Fluß in den Ozean, in den das Leben mündet, befreit von allen Gegensätzen, vom Krieg des Lebens. Wer nur Stein sieht, sieht keinen Wasserfall, keinen Fluß, keine Insel, keinen Ozean. Ein anderer versuchte es einst mit Brot und Wein. Ich sitze auf der Holzgalerie und lausche dem Geräusch der Wellen. Darunter muß irgendwo ein steinerner Poseidon wohnen, der über das Schicksal Buch führt in einem Buch aus Wasser. Die Welt als Illusion.
Vor wie vielen Jahren ich hier war, weiß ich nicht mehr. Die Zeitzwischen damals und jetzt hat sich verflüchtigt wie ein Leben. Auch der Mönch am Ausgang ist
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