Nora Morgenroth: Der Hüter
um, als ich den Schuppen betrat. Der kleine Raum war bis in die hinterste Ecke mit zahllosen Gerätschaften bestückt. Dabei herrschte eine erstaunliche Ordnung, alles hatte seinen Platz.
Die Vorbesitzerin hatte ihnen die Geräte geschenkt.
« Was soll ich denn damit noch? Nein, die gehören zum Haus. Lassen Sie mal», hatte Frau Martensen erklärt, als Oliver ihr noch extra etwas hatte bezahlen wollen. Sogar ein aufsitzbarer Rasenmäher gehörte dazu, der mitten im Schuppen stand. An den Wänden hingen die großen Geräte in Reih und Glied ordentlich nebeneinander aufgehängt. Von den meisten hätte ich nicht einmal sagen können, wie man sie nannte. Spaten und Schaufel erkannte ich immerhin und eine große Astschere. Die schnappte ich mir zusammen mit einem Paar neu aussehender Arbeitshandschuhe, die wohl eher mir passen würden als Oliver. Dann machte ich mich an die Arbeit.
Zwei Stunden später hatte ich in allen Ecken des Gartens ansehnliche Asthaufen angehäuft. Ich hatte beschwingt, wenn auch ohne großen Sachverstand, abgeschnitten, was zu weit auf den Rasen ragte oder was verholzt und abgestorben aussah.
Während ich erbarmungslos schnitt und knackte, zerrte und zog, ging mir auf, dass es für diese Arbeiten wohl schon etwas spät im Jahr war. Schnitt man nicht immer, bevor oder nachdem die Büsche grün waren? Nun war es zu spät. Wir würden ja sehen, was dabei heraus kam. Ich nahm mir vor, diese Arbeit im nächsten Jahr, sollte es wieder notwendig sein, zeitiger zu erledigen oder mich jedenfalls vorher entsprechend kundig zu machen. Aber in unseren ersten Altensteiner Monaten hatte ich mich so verbissen um das Haus gekümmert, dass der Garten einfach zu kurz kommen musste.
Zum Schluss schleppte ich alle Äste in die Ecke hinter dem Schuppen. Bei der nächsten Gelegenheit konnte ich Oliver bitten, ob wir versuchen wollten, den Häcksler in Gang zu bringen, der ebenfalls zur Ausstattung gehörte.
Verschwitzt, aber alles in allem ganz zufrieden, sah ich mich noch einmal um. Eigentlich sah es gar nicht so schlecht aus, fand ich. Nicht mehr so natürlich wie vorher, dafür aber etwas ordentlicher. Außerdem würde sowieso alles schnell nachwachsen.
Ich hängte die Astschere wieder an ihren Platz an der Schuppenwand und ging hinüber ins Haus. Als erstes ging ich unter die Dusche. Als ich dann in einem bequemen Shirt und meiner alten, geliebten Jogginghose bekleidet wieder nach unten kam, zeigte die Uhr über der Küchentür zwanzig nach acht. Ich war angenehm erschöpft von der körperlichen Arbeit. Hunger hatte ich nicht, aber zur Belohnung für meinen Fleiß schenkte ich mir ein Glas Weißwein aus der Flasche ein, die geöffnet im Kühlschrank stand. Damit ging ich hinauf in mein Arbeitszimmer. Bevor ich zu Bett ging, wollte ich noch einmal das durchlesen, was ich am Morgen geschrieben hatte. Ich vermisste Oliver und hoffte, dass er vielleicht doch bald käme. Vor allem wollte ich nicht allein ins Bett gehen.
Oliver kam und kam nicht. Als ich die Augen kaum noch offen halte n konnte, ging ich zu Bett und hoffte auf einen traumlosen Schlaf.
DREI
Hol mir den Stock.
Papa, nein, bitte nicht!
Hol den Stock.
Hier, Papa. Bitte, tu es nicht.
Bück dich.
Papa.
Du bist mein Sohn. Du musst gehorchen.
Aua. Warum ich? Aua. Aua.
Wirst du es tun?
Papa, ich kann nicht.
Gut. Dann jetzt ins Loch.
Nein. Aua. Nicht das Loch.
Papa. Papa.
Lach nicht, du Dummer.
Du musst gehorchen.
Ich tu es ja, Papa.
Dann nimm jetzt das Messer.
Welches, Papa?
Immer zuerst den Nicker.
Ja, Papa.
Siehst du die Stelle?
Ja, Papa.
Weißt du, was zu tun ist?
Ja, Papa.
Sage es.
Ich suche den richtigen Punkt. Ich steche den Nicker hinein.
Und dann?
Dann drehe ich ihn um 90 Grad.
Dann tue es.
Ja, Papa.
Ich warf mich keuchend aus dem Bett . Krabbelte auf allen Vieren bis in den Flur, dort kam ich endlich auf die Füße und floh die Treppe hinab. Oh Gott, all das Blut! Was hatte ich getan? Ich habe die Kinderhand mit einem länglichen Messer gesehen. Und dann war es rot heraus gesprudelt. Alles war besudelt, auch ich.
U nten in der Diele blieb ich schwer atmend stehen. Ich blickte auf meine Hände. Sie zitterten, aber da war nichts. Kein Blut. Da atmete etwas warm in meinem Nacken und ich roch Alkohol. Ohne nachzudenken, riss ich den Ellenbogen schräg nach hinten, so hoch ich konnte, machte einen Satz nach vorn und drehte mich noch im Sprung halb um. Es war lange her, dass ich Karate gemacht hatte. Ich war
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