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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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nichts über Trauer. Du hast doch keine Ahnung. Was weißt du schon davon?“
    „Eine ganze Menge mehr als du denkst jedenfalls!“
    „Ach, das ist doch Blödsinn. Ganz ehrlich. Du steigerst dich doch nur in diese Sache hinein, weil du nicht weißt, was du sonst machen sollst. Wie lange bist du jetzt von Daniel getrennt? Na also. Geh mal wieder aus, sei lustig. Wenn ich das wieder kann, dann kannst du das auch. Es muss doch auch weiter gehen. Das hast du mir doch wieder und wieder gesagt. Du bist einfach komisch geworden in der letzten Zeit. Nora, was ist denn mit dir los? Das ist doch nicht gesund, was du hier machst.“
    W ir funkelten uns feindselig an.
    „Ich bin komisch geworden? Kuck dich doch mal an, du redest nur noch über Geld, Geld, Geld. Und deine tolle neue Wohnung. Und was ist mit Marc, was ist mit Yasmine?“
    „ Hör mir doch mit dieser Yasmine auf. Nora, überall auf der Welt passieren jeden Tag schlimme Dinge, da müsste man ja sonst den ganzen Tag nur heulen, wenn man daran denken wollte. Und wenn ich dich daran erinnern darf: Mein Mann ist gestorben, nicht deiner. Ich muss jetzt sehen, wie ich mit meinem Leben allein klarkomme, mit den Schulden und allem. Ich habe alles verloren.“ Hedda spuckte die Worte geradezu aus. „Dein Mann hat nur in der Gegend rumgevögelt. Er ist nicht gestorben.“
    „Ich glaube, du gehst jetzt bitte. Danke für deine Hilfe“, sagte ich steif.
    Hedda schüttelte den Kopf.
    „Du bist ja vollkommen irre!“
    Dann drehte sie sich auf dem Absatz um.
    „Und du bist wie Mutter“, gab ich kalt zurück.
    Als die Tür ins Schloss knallte, stand ich immer noch neben dem Tisch. Mein Herz klopfte zum Zerspringen. Erst als ich fühlte, wie das Rauschen näher kam, setzte ich mich in Bewegung. Ich kann nicht mehr, dachte ich, ich will das alles nicht. Jetzt nicht.
    Ich lief in das Schlafzimmer, riss den Kleiderschrank auf und riss alles heraus, was mir in die Finger kam. Ich schlüpfte kurz entschlossen in den schwarzen Lederrock, der ebenso kurz wie eng war, dazu nahm ich ein tief ausgeschnittenes Shirt und hohe Schuhe. Bloß nicht stehen bleiben, bloß nichts spüren. Heute würde ich den Stimmen nicht zuhören. In wenigen Minuten war ich fertig, schmierte mir noch ein hastiges Makeup ins Gesicht. Dann wühlte ich meine Lederjacke aus dem Garderobenstapel und verließ die Wohnung. Ich wusste genau, wo ich hinwollte. In dieser Stadt gab es nur einen einzigen Ort, wo man vor zehn Uhr am Sonntagvormittag noch auf Nachtschwärmer traf, nämlich i m Night & Da y , wo sie den nächtlichen Barbetrieb übergangslos auf ein preiswertes Frühstückbüffet umstellten. Nachtschwärmer, die nicht mehr oder noch nicht ganz nüchtern waren, trafen hier ab sieben Uhr in der Frühe auf unternehmungslustige Frühaufsteher.
    Ich stellte mich an die Bar, wo ich im Handumdrehen einen Typen kennenlernte, der mit seinen Freunden die ganze Nacht durchgemacht hatte. Sie wunderten sich kein bisschen, dass ich um diese Uhrzeit einen doppelten Tequila bestellte. Im Gegenteil, sie gaben eine Runde nach der anderen aus. Als wir eine Stunde später torkelnd das Lokal verließen, hatten zwei von ihnen sich bei mir untergehakt, die Jens und Niels oder Ole und Lasse hießen. Wir wankten zu Ole oder Niels in die Wohnung, wo noch der eine oder andere Joint herumging und ich am Ende mit Jens oder Lasse in einem der Betten landete, von dem ich erst recht nicht wusste, wem es gehörte. Es war mir auch vollkommen gleichgültig, die Hauptsache war, dass ich nichts hörte oder spürte oder sah, was mit Yasmine zu tun hatte.
    Ich wachte neben einem Mann auf, der auf meinem Arm lag. Erst wusste ich nicht, wo ich war. Dann befreite ich mich, suchte die verstreuten Kleidungsstücke zusammen und stolperte aus der fremden Wohnung, die still war bis auf das Schnarchen von Männern, die irgendwo schliefen.
    Es dämmerte bereits, als ich mich zu Fuß auf den Weg nach Hause machte. Mir war schlecht, aber immerhin war ich in einem Punkt mit mir selbst zufrieden: Es war vollbracht, ich hatte den Bann gebrochen. Nach der Trennung von Daniel hatte ich mir nicht vorstellen können, jemals wieder einen anderen Mann zu lieben, auch nicht körperlich. Nun hatte ich es getan. Es war keine besonders rühmliche Vorstellung gewesen, eher hastig als zärtlich oder auch nur leidenschaftlich, aber der Typ hatte gut gerochen und nicht allzu übel ausgesehen. Das konnte ich also abhaken, den ersten Mann nach Daniel hatte ich gehabt. Viel

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