Nora Roberts
in einer Kirche war, richtete sich sein Blick einzig und allein auf sie.
Es war ein Liebeslied, aber die Liebe galt Irland, dem Land und der Familie.
Während sie ihm lauschte, spürte sie, daß sich das, was sich während des Tanzes in ihrem Inneren verändert hatte, noch einmal veränderte, daß es stärker wurde, fester, unum stößlicher. Ihr Blut begann zu prickeln, weniger aus Leidenschaft als aus schlichter Akzeptanz. Aus Freude auf das, was kam. Sämtliche Barrieren, die sie um ihr Herz errichtet hatte, wurden durch die mühelose Schönheit des Liedes lautlos zum Einsturz gebracht.
Seine Stimme überwältigte sie.
Warme Tränen rannen ihr über die Wangen, durch seine Stimme und die herzerweichenden Worte der Ballade befreit. Als er endete, gab es keinen Applaus, doch die Stille verriet mehr als jeder Beifall, daß niemandem die schlichte, großartige Schönheit des Vortrags verborgen geblieben war.
Ohne den Blick von Shannon zu wenden, flüsterte Murphy dem Dudelsackspieler etwas zu. Ein Nicken, und schon erklang eine schnelle, fröhliche Melodie, und die Menschen kehrten auf die Tanzfläche zurück.
Sie wußte, daß er sie verstanden hatte, noch ehe er in ihre Richtung kam. Er lächelte, und sie erhob sich und ergriff seine ausgestreckte Hand.
Auf dem Weg hinaus wurden sie immer wieder von Freunden aufgehalten, die Murphy Worte des Beifalls sagen wollten, und als er endlich mit ihr auf die Veranda trat, spürte er das Zittern ihrer Hand.
Er drehte sich zu ihr herum und sagte in ernstem Ton: »Ich möchte, daß du ganz sicher bist.«
»Ich bin ganz sicher. Aber, Murphy, trotzdem kann es danach nicht weitergehen. Du mußt verstehen ...«
Er küßte sie, langsam und weich und so tief, daß der Rest ihrer Worte ungehört verklang. Ohne sie loszulassen, ging er mit ihr in Richtung der Stallungen.
»Hier drinnen?« Halb entsetzt und halb erfreut, riß sie die Augen auf. »Das können wir unmöglich tun. All die Leute.«
Er merkte, daß er doch noch lachen konnte. »Die Tollerei im Heu heben wir uns für ein anderes Mal auf, Shannon-Schatz. Ich hole nur ein paar Decken für uns.«
»Oh.« Sie fühlte sich närrisch und war sich nicht sicher, ob sie nicht eine gewisse Enttäuschung empfand. »Decken«, wiederholte sie, als er zwei von der Leine nahm. »Und wohin gehen wir?«
Er faltete die Decken, legte sie sich über den Arm und ergriff abermals ihre Hand. »Dorthin, wo alles angefangen hat.«
Zum Steinkreis. Ihr Herz klopfte ihr schmerzlich in der Brust. »Ich – kannst du denn so einfach gehen? All die Leute in deinem Haus ...«
»Ich glaube nicht, daß man uns vermissen wird.« Er blieb stehen und sah auf sie hinab. »Ist es dir peinlich, falls man uns doch vermißt?«
»Nein.« Sie schüttelte eilig den Kopf. »Nein, es ist mir nicht peinlich, falls man uns doch vermißt.«
Sie überquerten das Feld, das im Licht des Mondes lag. »Zählst du gern Sterne?«
»Keine Ahnung.« Automatisch blickte sie zum sternenübersäten Himmel auf. »Ich glaube, ich habe es noch nie getan.«
»Wenn man einmal anfängt, hört man nicht mehr auf.« Er hob ihre verschränkten Hände an seinen Mund. »Es ist nicht die Summe, die von Bedeutung ist. Nicht die Zahl. Es ist das Wunder, daß es überhaupt all diese Sterne gibt. Dasselbe Wunder, wie daß du mir endlich begegnet bist. Das Wunder aller Dinge auf der Welt.«
Lachend nahm er sie in den Arm, und als er sie küßte, drückte der Kuß junge, überwältigende Freude aus.
»Könntest du vielleicht so tun, als trüge ich dich irgendeine elegante, gewundene Treppe zu einem großen, weichen Bett mit dicken Satinkissen und pinkfarbenen Spitzenbezügen hinauf?«
»Das brauche ich gar nicht.« Sie vergrub ihr Gesicht an seinem Hals, denn das, was sie empfand, überwältigte sie. »Heute nacht brauche ich nur dich. Und du bist hier.«
»Ja.« Er strich mit seinen Lippen über ihre Schläfe, bis sie den Kopf hob, um ihn anzusehen. »Ich bin hier.« Er nickte über das Feld. »Wir sind hier.«
Hier am Steinkreis, der sie im Licht des Mondes zu erwarten schien.
16. Kapitel
Unter schimmernden Sternen und einem Mond, der wie eine weiße Sichel über ihnen hing, trug er sie in die Mitte des Kreises hinein. Sie hörte den Ruf einer Eule, einen langgezogenen Schrei, der die Luft erfüllte, ehe er in summende Stille überging.
Er stellte sie auf ihre Füße, breitete die Decke aus, ließ die andere fallen und kniete sich vor ihr ins Gras.
»Was machst du da?«
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