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Nora Roberts

Nora Roberts

Titel: Nora Roberts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Töchter der See
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sich, während sie mit einer Hand über das glatte, burgunderrote Leder strich. Groß genug, um ein Pferd hineinzusetzen, hatte er gesagt, sie auf seinen Schoß gezogen und gelacht.
    Sie wünschte, sie könnte immer noch seine Gegenwart spüren. Aber das tat sie nicht. Sie fühlte nichts. Und das sagte ihr mehr als die Totenmesse, mehr als der Friedhof, daB sie allein war. Ganz allein.
    Sie hatte einfach nicht genug Zeit gehabt, dachte Shannon wie durch einen Schleier hindurch. Hätte sie es eher gewußt ...
    Sie war sich nicht sicher, was sie meinte, die Krankheit ihrer Mutter oder die Lügen, auf denen ihr Leben gegründet war. Hätte sie es eher gewußt, dachte sie erneut und konzentrierte sich auf die Krankheit, von der Amanda viel zu schnell zerstört worden war. Sie hätten andere Dinge versuchen können, alternative Medizin, Vitaminkonzentrate, all die kleinen, einfachen Hoffnungsträger, von denen in den Büchern über homöopathische Medizin, die sie sich besorgt hatte, die Rede war. Sie hatten keine Zeit mehr für diese Dinge gehabt.
    Bis vor ein paar Wochen hatte sie nichts von der Krankheit ihrer Mutter gewußt, ebensowenig wie von den anderen Dingen, die Amanda belasteten.
    Sie hatte von diesen Dingen nie zu ihr gesprochen, dachte Shannon, und in ihre Trauer mischte sich Bitterkeit. Obwohl sie ihre Tochter war.
    So hatten ihre letzten Worte an ihre Mutter Zorn und Verachtung ausgedrückt. Zorn und Verachtung, die sich nie mehr zurücknehmen ließen.
    Sie ballte die Fäuste gegen einen unsichtbaren Feind, stand auf und wandte sich vom Schreibtisch ab. Verdammt, sie hätte einfach mehr Zeit gebraucht. Sie hätte Zeit gebraucht, um zu verstehen oder um wenigstens zu lernen, damit zurechtzukommen, daß ihr Leben auf eine Lüge gegründet gewesen war.
    Endlich brachen sich die Tränen Bahn, heiße Tränen der Hilflosigkeit. Denn im Grunde ihres Herzens wünschte sie, ihre Mutter wäre gestorben, ehe sie ihr die Wahrheit erzählt hatte. Und dafür haßte sie sich.
    Nachdem die Tränen versiegt waren, ging sie mechanisch die Treppe hinauf, wusch sich die heißen Wangen mit kühlem Wasser und legte sich in ihren Kleidern aufs Bett.
    Sie würde das Haus verkaufen müssen, dachte sie. Und die Möbel. Außerdem müßte sie sämtliche Papiere durchsehen. Sie hatte ihrer Mutter nicht gesagt, daß sie sie liebte.
    Mit schwerem Herzen sank sie in einen erschöpften Schlaf.
    Wenn Shannon nachmittags schlief, war sie hinterher immer müder als zuvor. Also ging sie nur, wenn sie krank war, tagsüber ins Bett, und sie war selten krank. Als sie wieder aufstand, war alles ruhig. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, daß sie vor weniger als einer Stunde eingeschlafen war, aber trotzdem fühlte sie sich steif und verwirrt.
    Sie würde sich einen Kaffee kochen, sagte sie sich, und dann würde sie sich hinsetzen und überlegen, wie sich der Nachlaß ihrer Mutter am besten ordnen und das Haus, das sie geliebt hatte, am schnellsten verkaufen ließ.
    Noch ehe sie den unteren Treppenabsatz erreicht hatte, klingelte es an der Tür. Sie hoffte nur, daß es kein wohlmeinender Nachbar war, denn im Augenblick war sie weder auf Hilfe noch auf Gesellschaft erpicht.
    Doch es stand ein Fremder vor der Tür. Der Mann war mittelgroß, und unter seiner dunklen Anzugjacke war ein leichter Bauchansatz zu sehen. Sein Haar war graumeliert, und er hatte einen durchdringenden Blick. Als er sie ansah, beschlich sie ein eigenartiges, unangenehmes Gefühl.
    »Ich suche Amanda Dougherty Bodine.«
    »Dies ist ihr Haus«, erwiderte Shannon, wobei sie versuchte herauszufinden, wer er war. Ein Handelsvertreter? Nein, vermutlich nicht. »Ich bin ihre Tochter. Was wollen Sie von ihr?«
    Seine Miene blieb reglos wie zuvor, doch Shannon spürte seine wachsende Aufmerksamkeit. »Ein paar Minuten Ihrer Zeit, falls es paßt. Mein Name ist John Hobbs.«
    »Es tut mir leid, Mr. Hobbs, aber es paßt nicht. Ich habe meine Mutter heute morgen begraben, wenn Sie mich also bitte entschuldigen ...«
    »Das tut mir leid.« Als Shannon die Tür schließen wollte, hielt er sie weiter auf. »Ich bin gerade erst angekommen. Ich wußte nicht, daß Ihre Mutter gestorben ist.« Hobbs dachte eilig nach. Er war seinem Ziel zu nahe gekommen, um jetzt einfach unverrichteter Dinge nach Hause zurückzukehren. »Sind Sie Shannon Bodine?«
    »Allerdings. Was genau wollen Sie, Mr. Hobbs?«
    »Ihre Zeit«, sagte er in freundlichem Ton, »wenn es Ihnen besser paßt. Vielleicht wäre Ihnen ja

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