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Nora Roberts

Nora Roberts

Titel: Nora Roberts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Töchter der See
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Ehrgeiz, erfolgreich zu sein. Und das, erkannte sie, war eine sehr traurige Lebensart. Arbeit war ein großer Teil des Menschen, der sie – zumindest in ihren eigenen Augen – gewesen war. Und nun hatte sie sich absichtlich von ihrer Arbeit abgeschnitten und hatte das Gefühl, als triebe sie allein in einem Ozean aus Selbstzweifeln dahin.
    Wenn sie nicht von Geburt Shannon Bodine und wenn sie nicht aus freien Stücken die erfolgreiche Werbezeichnerin war, wer war sie dann?
    Die uneheliche Tochter eines gesichtslosen Iren, der mit einer einsamen Frau geschlafen hatte, was der Auftakt zu ihrer ganz persönlichen Odyssee gewesen war?
    Dies war ein schmerzlicher Gedanke, der sich einfach nicht verdrängen ließ. Sie wollte nicht glauben, daß sie so wenig geformt, so schwach war, daß sie sich als erwachsene Frau derart durch die bloßen Umstände ihrer Empfängnis beeinflussen ließ.
    Doch genau das war der Fall. Sie stand an einem einsamen Strand, der Wind peitschte ihr das Haar ins Gesicht, und sie wußte, genau das war der Fall. Hätte man es ihr als Kind gesagt, hätte man sie irgendwie mit dem Wissen, daß Colin Bodine der Vater war, der sie gewählt, wenn auch nicht gezeugt hatte, durchs Leben geführt, dann hätte die Wahrheit sie weniger geschmerzt.
    Aber sie konnte es nicht ändern – ebensowenig wie die Tatsache als solche oder wie die Art, auf die sie ihr offenbart worden war. Die einzige Möglichkeit, die sie hatte, war, dieser Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Den anderen ins Gesicht zu sehen und auch sich selbst.
    »Die See ist heute ziemlich rauh.«
    Shannon blickte sich um und schaute überrascht auf die unmittelbar hinter ihr stehende alte Frau. Sie hatte niemanden kommen gehört, aber die Brecher schlugen krachend auf den Sand, und ihre Gedanken hatten sie abgelenkt.
    »Allerdings.« Shannon setzte das für Fremde reservierte höfliche, distanzierte Lächeln auf. »Aber wunderschön.«
    »Es gibt Menschen, die mögen diese Wildheit.« Die Frau zog sich die Kapuze ihres Umhangs in die Stirn und starrte mit für ein derart faltiges Gesicht überraschend klaren Augen aufs Meer hinaus. »Und andere, denen die Ruhe lieber ist. Aber von beidem gibt es genug auf der Welt, und so hat jeder die freie Wahl.« Sie bedachte Shannon mit einem wachsamen, ernsten Blick. »Und genug Zeit, um es sich anders zu überlegen, wenn einem die einmal getroffene Wahl nicht mehr gefällt.«
    Shannon war es nicht gewohnt, daß irgendeine fremde Person mit ihr eine philosophische Diskussion begann, und sie vergrub ein wenig unbehaglich die Hände in den Taschen ihrer Jeans. »Ich schätze, die meisten Menschen wollen von beidem etwas, je nachdem, in welcher Stimmung sie gerade sind. Wie heißt dieser Strand? Hat er einen Namen?«
    »Von manchen wird er Morias Gestade genannt, nach der Frau, die sich in der heranrollenden Brandung ertränkt hat, nachdem sie ihren Mann und drei erwachsene Söhne in einem Feuer verlor. Sie hat sich keine Zeit gelassen, um es sich noch einmal anders zu überlegen. Oder um sich daran zu erinnern, daß nichts, weder im Guten noch im Schlechten, von ewiger Dauer ist.«
    »Was für ein einsamer Name für einen so wunderschönen Ort.«
    »Allerdings. Und es ist gut für die Seele, wenn man hin und wieder hierherkommt, um innezuhalten und auf das zu sehen, was wirklich von Dauer ist.« Wieder sah sie Shannon an, doch dieses Mal umspielte ihren Mund ein freundliches Lächeln. »Und je älter man wird, um so länger sieht man hin.«
    »Ich habe mir heute verschiedene Dinge sehr lange angesehen.« Shannon lächelte ebenfalls. »Aber jetzt muß ich wieder gehen.«
    »Ja, Sie haben noch einen langen Weg. Aber Sie werden ans Ziel kommen, Mädchen, ohne zu vergessen, woher Sie gekommen sind.«
    Eine seltsame Frau, dachte Shannon, als sie den sanft ansteigenden Pfad zur Straße erklomm. Wahrscheinlich war es ein weiterer irischer Wesenszug, daß sich zwischen den Menschen aufgrund etwas so einfachem wie einer schönen Aussicht ein esoterisches Gespräch entspann. Als sie die Straße erreichte, fiel ihr ein, daß die Frau alt und ganz allein gewesen war und daß sie vielleicht nicht wußte, wie sie wieder nach Hause kam. Vielleicht würde sie ja gern ein Stückchen mitfahren.
    Shannon drehte sich um und – sah nichts als den menschenleeren Strand.
    Sie erschauderte, doch dann wandte sie sich mit einem Schulterzucken wieder dem Wagen zu. Die Frau war wahrscheinlich einfach weitergegangen, und außerdem war es

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