Nora Roberts
kann. Es war meine Mutter, die ihm, und Maggie, die Schuld am Leben gab, das zu führen sie seither gezwungen war. Und nur aus Pflichtgefühl hat sie ihn in ihr Bett gelassen, bis sie mit mir schwanger war. Aus Pflichtgefühl der Kirche gegenüber. Ein kälteres Bett gibt es für einen Mann wohl nicht.«
»Du kannst nicht wissen, wie es vor deiner Geburt zwischen ihnen war«, unterbrach Shannon sie.
»Ich weiß es sehr gut. Sie hat es mir nämlich selbst erzählt. Durch mich hat sie Buße getan. Und sobald sie wußte, daß sie mit mir schwanger war, bestand keine Veranlassung mehr, ihm auch im Bett eine Frau zu sein.«
Shannon schüttelte den Kopf. Es mußte für Brianna mindestens ebenso erniedrigend sein, über diese Dinge zu sprechen, wie es für sie war, sie anzuhören. Aber Brianna wirkte nicht verlegen, sondern erzürnt. »Es tut mir leid. Es ist mir fast unmöglich zu verstehen, weshalb sich ein Paar unter derartigen Bedingungen nicht trennt.«
»Dies ist nicht Amerika. Dies ist Irland, und noch dazu das Irland, wie es vor über zwanzig Jahren war. Ich erzähle dir diese Dinge, damit du verstehst, daß dies kein glückliches Zuhause war. Es läßt sich nicht leugnen, daß Dad einen Teil des Unglücks selbst verschuldet hat, aber meine Mutter ist eine verbitterte Frau, und irgend etwas in ihrem Inneren zwingt sie dazu, sich an diese Verbitterung zu klammern, als gäbe sie ihrem Leben erst irgendeinen Sinn. Wenn sie gewußt oder auch nur vermutet hätte, daß er bei einer anderen Frau Glück und Liebe fand, hätte sie ihn damit zerstört. Sie hätte sich einfach nicht zurückhalten können und hätte auch keinen Grund gesehen, es zu tun.«
»Und jetzt erfährt sie es.«
»Jetzt erfährt sie es«, pflichtete Brianna ihr bei. »Sie wird dich ansehen, als wärst du der personifizierte Schlag ins Gesicht. Und dafür wird sie versuchen, dir weh zu tun.«
»Das kann sie nicht. Es tut mir leid, falls es kaltherzig klingt, aber ihre Gefühle und ihre Art, diese Gefühle deutlich zu machen, sind mir egal.«
»Das mag stimmen.« Brianna atmete tief ein. »Inzwischen ist sie ein wenig zufriedener als früher. Wir haben sie in ihrem eigenen Haus am Stadtrand von Ennis untergebracht. Dort ist sie glücklicher als hier. Außerdem haben wir für sie eine wunderbare Gesellschafterin engagiert. Lottie ist eine pensionierte Krankenschwester – was uns sehr gelegen kommt, da Mutter sich ständig einbildet, krank zu sein. Auch die Enkel haben sie ein bißchen weicher gemacht. Obwohl sie das nur ungern zeigt.«
»Und du fürchtest, daß diese Sache wieder alles kaputtmachen wird.«
»Ich fürchte es nicht. Ich weiß es. Wenn ich dir ihren Zorn und ihre Unverschämtheiten ersparen könnte, würde ich es tun, Shannon.«
»Ich kann durchaus auf mich selbst aufpassen.«
Brianna entspannte sich so weit, daß ihr ein Lächeln gelang. »Dann möchte ich dich um einen Gefallen bitten. Egal, was sie sagt oder tut, laß dich bitte nicht davon vertreiben. Wir hatten bisher so wenig Zeit füreinander, und ich möchte so gern, daß du uns alle noch besser kennenlernst.«
»Ich habe für meinen Besuch zwei bis drei Wochen eingeplant«, sagte Shannon in ruhigem Ton. »Und ich sehe keinen Grund, weshalb ich diesen Plan ändern soll.«
»Wofür ich dir wirklich dankbar bin. Wenn du ...« Sie brach ab und blickte mit bestürzter Miene zur Tür, als sie aus dem Flur laute Frauenstimmen vernahm. »Oh, da sind sie schon.«
»Ich nehme an, daß du sicher gern zuerst allein mit ihr sprechen willst.«
»Ja. Das heißt, wenn du nichts dagegen hast.«
»Ich glaube, daß ich auf den ersten Akt des Dramas durchaus verzichten kann.« Mit einer äußerlichen Gelassenheit, die sie längst nicht mehr empfand, erhob sich Shannon von ihrem Stuhl. »Ich gehe solange nach draußen.«
Sie sagte sich, daß es lächerlich war, sich zu fühlen, als verlasse sie ein sinkendes Schiff. Schließlich ging es um Briannas Mutter, erinnerte sie sich, als sie in den Garten trat. Und somit war es allein Briannas Problem.
Sicher gäbe es eine fürchterliche Szene, dachte sie. Voller irischer Gefühle, irischen Zorns, irischer Verzweiflung. Ganz bestimmt wollte sie nicht daran beteiligt sein. Gott sei Dank war sie in den Staaten erzogen worden, von zwei ruhigen, vernunftbegabten Menschen, für die allein der Gedanke an irgendwelche Gefühlsausbrüche befremdlich gewesen war.
Sie atmete tief ein, bog um eine Ecke und – sah Murphy, der über das Feld in ihre
Weitere Kostenlose Bücher