Nora Roberts
Michael. Sie gehen
dahin zurück, wo sie herkommen, und du gehst zur Polizei.«
»Wenn du
das verlangst, kannst du mir genauso gut eine Pistole an den Kopf drücken.« Er
wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Er wird mich umbringen,
Jessica! Wenn er erfährt, dass ich mich gestellt habe, bin ich auch in einer
Zelle nicht vor ihm sicher. Er wird mich umlegen – und dich auch, wenn er
herausfindet, was du getan hast.«
»Sei doch
nicht so dumm.« Mit glitzernden Augen riss sie ihm den Beutel aus der Hand. »Er
wird dich auf jeden Fall umbringen – und mich dazu. Glaubst du, er weiß
nicht, dass die Polizei ihm auf den Fersen ist? Glaubst du, er ist so dumm,
dich als lebenden Schuldschein herumlaufen zu lassen? Denk doch mal nach!«,
verlangte sie. »Deine einzige Chance ist, dich der Polizei anzuvertrauen.«
Ihre Worte
setzten bei Michael Ängste frei, die er bisher immer verdrängt hatte. Tief in
seinem Inneren hatte er immer gewusst, dass seine Mitwirkung bei dieser
Geschichte nur auf eine Art enden konnte. Und diese Angst, mehr als das Geld,
hatten ihn bei der Stange gehalten. »Nicht die Polizei.« Wieder huschte sein
Blick verzweifelt durch den Raum. »Ich muss weg. Verstehst du denn nicht,
Jessica? Ich muss irgendwohin, wo er mich nicht findet! Gib mir die Diamanten
wieder, damit kann ich meine Flucht finanzieren.«
»Nein.«
Ihre Hand schloss sich fester um den Beutel. »Du hast mich benutzt!«
»Um Himmels
willen, Jessica, willst du mich tot sehen?« Sein Atem kam in hektischen Stößen.
»Ich habe keine Zeit, um das Geld beizubringen, das ich brauche. Wenn ich jetzt
abhaue, stehe ich ohne einen Penny da.«
Sie starrte
ihn unverwandt an. Auf seinem Gesicht glänzte ein dünner Schweißfilm, der sich
auf der zitternden Oberlippe zu kleinen Perlen sammelte. In seinen Augen
flackerte die schiere Panik. Er hatte sie benutzt, dachte sie, aber das tat den
Gefühlen, die sie für ihn hatte, keinen Abbruch. Wenn er entschlossen war zu
fliehen, würde sie ihm geben, was er benötigte. Jessica trat vor ein
Ölgemälde, das eine französische Landschaft darstellte, und schwang das Bild an
unsichtbaren Scharnieren heraus. Dahinter verbarg sich ein Wandsafe. Mit
flinken Bewegungen stellte sie die Zahlenkombination ein und öffnete ihn.
»Hier, nimm
das.« Sie hielt Michael ein Bündel Geldscheine hin. »Es ist nicht so viel, wie
die Diamanten wert sind, aber Bargeld ist ohnehin sicherer. Es wird dich nicht
weit genug bringen«, fügte sie rasch hinzu, als er die Hand nach den Scheinen
ausstreckte. »Aber das musst du selbst entscheiden.«
»Ich habe
nur eine Möglichkeit, mich zu entscheiden.« Er stopfte das Geldbündel in die
Innentasche seines Jacketts und sah sie dann an. »Es tut mir Leid, Jessica.«
Nickend
wandte sie sich ab. Sie hörte ihn zur Tür gehen. »Michael, steckt David da auch
mit drin?«
»Nein,
David hat nur routinemäßige Anordnungen, wie er glaubte, ausgeführt.« Er sah
alles, was er sich immer erträumt, alles, was ihm je etwas bedeutet hatte,
durch seine Finger rinnen. »Jessica ...
»Geh,
Michael. Wenn du davonlaufen willst, musst du schnell sein.«
Sie
wartete, bis sie die Tür ins Schloss fallen hörte, dann öffnete sie den Beutel
und ließ die funkelnden Diamanten in ihre Hand rieseln. »So, das ist mein Leben
also wert«, murmelte sie. Vorsichtig schüttete sie sie wieder zurück in den
Beutel und besah sich die Reste des Queen-Anne-Sekretärs. »Und alles nur wegen
einer Laune«, setzte sie wispernd hinzu. Wenn sie nicht den spontanen Einfall
gehabt hätte, den Sekretär für sich zu behalten, dann ...
Mit einer
energischen Kopfbewegung unterbrach die ihren Gedanken. In diesem Fall gab es
kein Wenn. Sie musste unbedingt mit Slade sprechen, aber vorher brauchte sie
ein paar Minuten für sich. Seufzend sank sie in einen Sessel und ließ das
Säckchen mit den Diamanten in ihren Schoß fallen.
»Ich
nehme an, Jessica
hat Ihnen von heute Morgen erzählt.« David nahm zwei Tassen aus dem Schrank,
nachdem er Kaffee aufgestellt hatte.
Slade sah
ihn unter hochgezogenen Brauen an. Was meinte er, wunderte sich Slade. »Sollte
sie das nicht?«, gab Slade zurück.
»Sehen Sie,
ich habe nichts gegen Sie – ich kenne Sie ja nicht einmal.« David drehte sich
um und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Aber Jessie bedeutet mir sehr
viel. Als ich sie heute Morgen aus Ihrem Zimmer habe kommen sehen, da habe ich
ihr gesagt, dass mir das nicht gefällt.« Er musterte den
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