Nora Roberts
vor sich ging.
An zwei
Wänden lehnten Leinwände. Eine Staffelei mit einer leeren Leinwand war bereits
vor den Fenstern aufgebaut. Sie fragte sich, wie es ihm gelungen war, den
riesigen Arbeitstisch die Treppe hinauf und durch die recht schmale Tür zu
bekommen. Er stand mitten im Zimmer und war bereits mit all den Dingen bedeckt,
die ein Künstler so brauchte: Pinsel, Farben, ein Behälter mit Terpentin,
Lappen, Bleistifte, Kreiden.
Es gab zwei
Hocker, einen alten Holzstuhl, einen noch älteren Tisch, auf dem eine
ausgesprochen hässliche Lampe stand, und Holzregale, in denen offensichtlich
weitere Malutensilien untergebracht waren.
Er hatte
nichts an die Wände gehängt. Der Raum enthielt nichts außer Licht und
Werkzeugen.
»Du
scheinst dich ja langsam einzurichten. Dann werde ich dich mal deiner Arbeit
überlassen.« Aber eine der an die Wand gelehnten Leinwände zog Drus Blick
magisch an. Es war ein Strudel von Violett auf Grün, der eine wahre Explosion
von wildem Fingerhut darstellte. Das Bild zog Dru derart in seinen Bann, dass
sie beinahe das Gefühl hatte, zu spüren, wie die Blätter und Blüten über ihre
Haut strichen.
»Das war an
einem Straßenrand in Irland«, sagte Seth. »Im County Clare. Ich habe da einmal
ein paar Wochen verbracht. Wo man dort auch hinschaut, alles ist wie ein Gemälde.
Man kann es nie wirklich auf die Leinwand bannen.«
»Ich denke,
es ist dir gelungen. Es ist wundervoll. Schlicht und ausdrucksstark zugleich.
Ich habe noch niemals wilden Fingerhut an einem Straßenrand in Irland gesehen,
aber jetzt habe ich das Gefühl, als sei es so. Ist es nicht das, was zählt?«
Er starrte sie
für einen Moment an. Die Sonne ergoss sich durch das Oberlicht, umfing sie,
betonte die Linie ihres Kiefers, ihrer Wange. »Bleib einfach so stehen,
einfach so. Nicht bewegen«, sagte er, während er zu seinem Arbeitstisch ging.
»Nur für zehn Minuten. Na schön, das wäre gelogen. Zwanzig. Allerhöchstens.«
»Wie
bitte?«
»Bleib
einfach so stehen. Verdammt, wo ist die – ach da.« Er griff nach einem
Kreidestück und zog dann die Staffelei herum. »Nein, sieh mich nicht an. Schau
da rüber. Warte.«
Er bewegte
sich schnell, ergriff das Bild mit dem Fingerhut, zog einen Nagel aus seiner
Tasche und schlug ihn in die Wand. »Schau dir einfach das Bild an.«
»Ich habe
keine Zeit für ...«
»Das Bild!«
Dieses Mal war seine Stimme so voller Autorität und Ungeduld, dass sie ohne
nachzudenken gehorchte. »Ich werde mich für die Zeit erkenntlich zeigen.«
»Ich will
dein Geld nicht.«
»Als
Handwerker.« Er strich mit der Kreide bereits über die Leinwand. »Du hast ein
Haus am Fluss. Da müssen bestimmt ab und zu einige Dinge erledigt werden.«
»Ich kann
mich selbst um ...«
»Ja, ja,
ja. Heb dein Kinn ein wenig, nach rechts. Gott, lieses Licht. Entspann deinen
Kiefer. Du kannst später auf mich sauer sein, aber lass mich das jetzt bitte
festhalten.«
Für wen zum
Teufel hält er sich eigentlich, fragte Dru sich. Seth stand breitbeinig da, in
der Pose eines Mannes, Jer zum Kampf bereit war, mit dem um die Hüften geschnallten
Werkzeuggürtel, und zeichnete mit der Kreide, als hinge sein Leben davon ab.
Seine Augen
waren zusammengekniffen und blickten so ernst und konzentriert, dass Drus Herz
jedes Mal einen kleinen Hüpfer tat, wenn sie kurz aufsahen und über ihr Gesicht
hinwegglitten.
Aus dem
Stereogerät dröhnte Highway to Hell von AC/ DC, und durch das geöffnete
Fenster drangen die Schreie der Möwen herein, die über der Bucht ihre
Sturzflüge veranstalteten. Dru war sich nicht ganz sicher, warum sie sich von
Seth herumkommandieren ließ, aber sie gehorchte und betrachtete das Bild mit
dem Fingerhut.
Sie stellte
sich vor, wie es an ihrer Schlafzimmerwand aussehen würde.
»Wie viel
willst du dafür haben?«
Er runzelte
die Stirn. »Ich werde es dich wissen lassen, wenn ich fertig bin.«
»Nein, ich
meine das Bild, das ich anstarre, während ich mir alle Mühe gebe, nicht sauer
auf dich zu sein. Ich würde es gern kaufen. Du hast doch einen Agenten, nehme
ich an. Soll ich mich an ihn wenden?«
Er brummte
etwas Unverständliches und fuhr mit seiner Arbeit fort. Offensichtlich war er
im Augenblick nicht im Mindesten an geschäftlichen Dingen interessiert. »Halt
len Kopf still, beweg nur die Augen. Und sieh mich an. Was für ein Gesicht?«
»Danke.
Dein Interesse daran ist ungeheuer aufregend, aber ich muss jetzt wirklich
hinuntergehen und den Laden öffnen.«
»Nur
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