Nora Roberts
die den Geschmack von Schweiß und auch ein wenig Blut in sich
trugen. Damals hatte er eine freudige Erregung dabei verspürt, zu lernen, Teil
von etwas zu sein.
Die
Werkstatt hatte sich im Laufe der Jahre ziemlich verändert. Sie wirkt
kultivierter, hätte Phillip wohl gesagt. Die Wände bestanden längst nicht mehr
aus dem nackten Mauerwerk, sondern waren in einem schlichten Weiß gestrichen.
Mittlerweile
gab es einen abgeschlossenen Eingangsbereich, von dem aus die Treppe abging,
die zu Phillips Büro und dem Speicher im ersten Stock führte.
An den
Wänden hingen in derben Holzrahmen Zeichnungen verschiedener Boote, die die
Quinns über die Jah re gebaut hatten. In ihnen spiegelten sich gleichzeitig
die Entwicklung der Bootswerkstatt und die des Künstlers wider.
Aubrey
hatte Seth erzählt, dass vor zwei Jahren ein Kunstsammler vorbeigeschaut und
seinen Brüdern eine Viertelmillion Dollar für die fünfzig Zeichnungen geboten
hatte, die zurzeit hier hingen.
Sie hatten
rundweg abgelehnt, ihm aber angeboten, ihm ein Boot auf Grundlage jeder Zeichnung
zu hauen, die ihm gefiel.
Es ist nie
um Geld gegangen, dachte Seth jetzt, obwohl es in den ersten Jahren harte
Zeiten gegeben hat. Es war allein um die Familie gegangen. Und um ein
Versprechen, das seine Brüder Ray Quinn gegeben hatten.
Die Werkstatt
selbst hatte sich kaum verändert. Es war immer noch ein riesiger, hell
erleuchteter Raum mit Flaschenzügen
und Schraubenschlüsseln, die von der Decke herabhingen,
mit Sägen, Werkbänken, Stapeln von Bauholz, dem Geruch nach frisch gesägtem
Holz, nach Leinöl, Schweiß,
Kaffee, mit dröhnendem Rock 'n' Roll, dem Brummen von Elektrosägen, dem in der
Luft verweilenden Zwiebelduft eines zum Mittagessen genossenen Sandwichs.
Das Ganze
war Seth so vertraut wie sein eigenes Gesicht.
Ja, er
hatte einmal geglaubt, dass er sein Berufsleben hier verbringen und sich
anhören würde, wie Phillip über unbezahlte Rechnungen schimpfte, dass er
zusehen würde, wie Ethans geduldige Hände die Holzplanken formten, dass er
gemeinsam mit Cam schwitzen würde, wenn sie einen Bootsrumpf umdrehten.
Aber durch
seine Liebe zur Kunst war alles anders gekommen. Sie hatte ihn weggeführt von
seinen jugendlichen Ambitionen – und für eine Weile auch von seiner Familie.
Aber jetzt
war er ein Mann. Ein Mann, der auf eigenen Füßen
stand, der seine eigenen Kämpfe austrug, und der der Mensch war, der er sein
sollte.
Nichts und
niemand würde ihn aufhalten.
»Hast du
vor, dir da drüben noch länger die Beine in den Bauch zu stehen?«, fragte Cam.
»Oder wirst du uns heute Nachmittag noch etwas Arbeit abnehmen?«
Seth kehrte
mit einem Ruck wieder in die Gegenwart zurück. »Wie es aussieht, brauchst du
mich ja gar nicht«, bemerkte er.
Er hatte
Aubrey entdeckt, die damit beschäftigt war, einen Einhandsegler zu verschalen.
Ihr Elektroschrauber surrte. Sie trug eine Orioles-Kappe, durch die sie
im Nacken ihren Pferdeschwanz gezogen hatte. Ethan war an der Drehbank und
arbeitete an einem Mast. Sein treuer Hund hatte sich zu seinen Füßen
niedergelassen.
»Der Rumpf
muss kalfatert und geglättet werden.« Echte Mistarbeit, dachte Seth und
seufzte. »Und was machst du?«
»Mich in
der Pracht meines kleinen Imperiums sonnen.«
Das Sonnen
schloss die Detailbehandlung des Schotts für den Sitzraum mit ein, jene Art von
Zimmerhandwerk, die Cam in eine Kunst verwandelte.
Seth machte
sich an die unangenehme Arbeit – sie war ihm noch bestens vertraut. Über seinem
Kopf hörte er Aubrey hantieren.
Sie beugte
sich zu ihm herab, um mit ihm zu reden. »Will hat heute Abend frei. Wir wollen
Pizza essen gehen und dann ins Kino. Hast du Lust mitzukommen?«
Das klang
verlockend. Seth hätte den Kontakt zu Will gern wieder aufgenommen und das
nicht nur, weil sie einmal Freunde gewesen waren, sondern weil er gern jeden
Kerl unter die Lupe nahm, der um Aubrey herumwedelte.
Wog all das
die Tatsache auf, dass er das fünfte Rad am Wagen wäre?
»Village
Pizza?«
»Da gibt es
immer noch die beste Pizza in ganz St. Chris.«
»Vielleicht
schaue ich kurz vorbei und begrüße Will«, sagte Seth. »Beim Kino werde ich aber
passen. Ich muss morgen früh raus.«
»Ich dachte
immer, ihr Künstler könntet eure Arbeitszeit selbst bestimmen.«
Seth
arbeitete Kalfaterwerg in eine Fuge zwischen den abgeschrägten Planken des
Rumpfs ein. »Das zu malende Subjekt verlangt danach.«
»Das zu
malende Subjekt?« Aubrey setzte sich auf ihre Fersen zurück.
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