Noras großer Traum (German Edition)
der Erde gehörte und mit seinen immensen Überschwemmungsflächen ein einzigartiges Rückzugsgebiet für Zug- und Wasservögel bot. Neben der biologischen wurde tatsächlich auch die von Nora zuvor erwähnte kulturelle Bedeutung des Kakadu National Parks hervorgehoben. Beide schienen das Geheimnis des Parks auszumachen und hatten schließlich dazu geführt, dass er von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden war. Zufrieden schmiedeten Nora und Martin beim Abendessen Pläne für die kommenden Tage.
Als sie in den frühen Morgenstunden an einer Bootstour teilnahmen und auf dem Fluss durch die beeindruckende Lagunenlandschaft von Yellow Waters glitten, fand Nora keine Worte für ihre Empfindungen beim Anblick dieses Paradieses für unzählige Wasservögel. Der Morgendunst lag über dem Wasser und vermischte sich mit dem Rotorange der aufgehenden Sonne. Sprachlos staunend beobachtete sie scheinbar Millionen unterschiedlicher Vögel, die mit flatternden Flügeln aufflogen oder kreischend ihr Stammrevier verteidigten. Sie konnte Gänse, Kraniche, Pelikane, Reiher, Enten und Schwarzkopfstörche ausmachen, während am Himmel Seeadler und andere Raubvögel kreisten. Zwischen unglaublich großen Seerosen an verschiedenen Flussarmen und in den Uferregionen entdeckte sie schließlich auch die gefährlichen und zum Teil sehr großen Salzwasserkrokodile, die sich augenscheinlich im trägen Wasser wohl zu fühlen schienen.
Während Martins Kamera unablässig surrte und er offenbar konzentriert bei der Arbeit war, nahm Nora die fast schon unwirkliche Stimmung dieses Tagesanbruchs andächtig in sich auf. Sie meinte nie etwas annähernd Vollkommeneres in der Natur gesehen zu haben als diese scheinbar unberührte Landschaft. Als sie später im Wagen saßen, fuhren sie einige Zeit schweigend, und Nora empfand so etwas wie Dankbarkeit Martin gegenüber, der ein Gespür für diese besondere Stimmung zu haben schien. Das eben Erlebte noch genau vor Augen, klappte sie ihr Notizbuch auf und machte sich daran, ihre Eindrücke festzuhalten. Wenig später folgten sie kurz vor Jabiru einer abzweigenden Zufahrtsstraße nach Ubirr, wo sie sich die berühmten Felsmalereien der Ureinwohner ansehen wollten. Als Martin den Wagen anhielt, hatte Nora ihre Aufzeichnungen schon wieder eingesteckt. Er griff nach seiner Kamera, die auf dem Rücksitz lag, und lächelte ihr zu. »Alles klar? Wollen wir los?«
»Aber ja! Ich freue mich schon.« Etwas zögernd machte sie eine Pause. »Sicher komme ich dir ein wenig unprofessionell vor, nicht? Aber ich muss zugeben, dass mich das hier alles ein wenig überwältigt.« Sie sah nun aus dem Fenster. »Es erscheint mir so unwirklich, so unglaublich riesig ... so fremd und trotzdem unheimlich anziehend.« Verlegen schaute sie Martin an und zog schließlich eine Grimasse. »Ich wirke wahrscheinlich ziemlich bescheuert, nicht?«
Martin legte eine Hand auf ihren Arm und lachte leise, bevor er wieder ernst wurde und sie ansah. »Nein, Nora. Wirklich nicht. Es ist doch einfach unglaublich schön hier! Warum sollte man das nicht zugeben, hm?« Er zwinkerte ihr zu. »Na, komm, jetzt geht’s zur Aborigines-Kultur.«
Gemeinsam erkundeten sie den etwa einen Kilometer langen Rundweg, der sie rasch erkennen ließ, dass sie sich hier an einer der bedeutendsten Kunststätten des Parks befanden. Staunend stand Nora vor den Malereien und versuchte sich klarzumachen, dass sie tatsächlich hier war. Sie hatte die Kunst der Aborigines schon in so vielen Büchern betrachtet, dass sie ihr nun seltsam vertraut vorkam. Dennoch spürte sie, dass die Wirkung, die diese zum Teil über zwanzigtausend Jahre alten Darstellungen hier auf sie hatten, eine völlig andere war. Sie fühlte sich diesem Stück Zeitgeschichte auf einmal so nah, dass sie kaum den Bück abwenden mochte. Eigenartig berührt, begriff sie plötzlich die enge persönliche Beziehung, die die Ureinwohner zu ihrem Land und ihren Traditionen gehabt haben mussten. Sie erkannte, dass die Malereien nicht nur der Ehrung ihrer Ahnenwesen dienten, sondern auch der Mitteilung und Kommunikation untereinander. Nora gefielen besonders die warmen Töne der Naturfarben. Sie kletterten auf den Felsen herum, die von Büschen, Bäumen und Gräsern umgeben waren und die Aussicht auf weitere Felsplateaus in einiger Entfernung freigaben. In einem Felsspalt entdeckte Nora eine wunderschöne Blume mit großen grünen Blättern, aus deren Mitte eine zartrosafarbene Blüte
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