Noras großer Traum (German Edition)
dieser Landschaft gebunden. Auf dem Weg vom Besucherzentrum zum Uluru zeigte ihnen der Guide viele Dinge, die ihnen sonst sicher verborgen geblieben wären – Pflanzen und Tiere, auch das so genannte Bushfood, das den Aborigines zum Teil selbst heute noch als Nahrung dient und von dem sie immer noch genau wissen, wo es zu finden ist. Er berichtete ihnen, dass sie weiterhin die Honigameise jagten, dass sie inzwischen zwar das Känguru mit dem Gewehr erlegten, es aber immer noch so zubereitet werde, wie es die Tradition überlieferte, nämlich dass es mit seiner Haut im Erdofen gebacken werde. Einige Stätten um den Uluru gälten auch heute als unberührbar und dürften nicht betreten oder besichtigt werden. Nora und Martin gefiel es, dass das Unternehmen Anangu Tours es sich zum Ziel gesetzt hatte, den Tourismus mit dem Erhalt der Kultur der Aborigines zu verbinden. Beide hofften sehr auf einen bleibenden Erfolg dieses Projekts.
Auch der nächste Tag an den Kata Tjuta schien viel versprechend zu werden. »Viele Köpfe« nannten die Ureinwohner die steil aufragenden Felsbuckel der Olgas, die sich etwa dreißig Kilometer westlich vom Uluru zusammendrängten. Schmunzelnd erzählte Nora Martin, dass ihr Entdecker, Ernest Giles, sich weniger fantasievoll gezeigt hatte, als er mit seiner Namensgebung Königin Olga, die Frau von Karl I. von Württemberg, ehrte.
Martin lachte. »Ja, da hast du Recht. Ich glaube, mir gefallen die Kata Tjuta auch besser.« Er legte nun den Kopf in den Nacken und beschirmte seine Augen mit einer Hand, um ungehindert nach oben sehen zu können. Schließlich deutete er auf den größten Felsen. »O Mann, der sieht ja ganz schön hoch aus. Das fällt von weitem gar nicht so auf. Wahrscheinlich, weil hier so viele davon herumstehen.«
Nora folgte seinem Blick und nickte.
»Stimmt. Ich habe gestern Abend noch einmal in meinem Reiseführer gelesen. Der da müsste demnach der höchste sein. Er heißt Mt. Olga und soll fünfhundertsechsundvierzig Meter hoch sein.«
Martin und Nora folgten von den Parkplätzen am Rande der Olgas den Wanderwegen, die sie durch das Labyrinth dieser Felsbuckel führten. Nora freute sich gleich zu Beginn ihrer Tour über den blühenden wilden Hopfen. Sie ließen nichts aus, waren am Felsspalt der Mount Olga Gorge, im Valley of the Winds und im Inneren des Massivs am Aussichtspunkt Kata Tjuta Lookout. Wie schon im Kakadu National Park und am Uluru nahm Nora auch hier die Atmosphäre der Aborigines-Kultur gefangen. An bestimmten Orten meinte sie förmlich, den Hauch der Zeit zu spüren. Als sie völlig in Gedanken versunken den Wind auf ihrem Gesicht genoss, kam Martin zu ihr.
»Na, kannst du schon sagen, was dir besser gefällt, der Uluru oder die Kata Tjuta?«
Nora sah sich um. Der Nachmittag war angebrochen und legte wieder den typischen Goldschimmer, den sie so liebte, über die Felsen. Nur noch ein bis zwei Stunden, und alles würde in ein Rotgold und später in ein Brandrot übergehen. Nora seufzte zufrieden. Auch wenn sie es tausendmal beobachten dürfte, war sie sich sicher, dass ihr dieses Farbenspiel niemals langweilig werden würde.
»Ich kann einfach nicht sagen, was ich schöner finde. Beide Orte haben ihren völlig eigenen Zauber.« Sie setzte sich zu Martin, der sich auf einem kleinen Felsen niedergelassen hatte, froh darüber, dass er noch nicht zum Aufbruch drängte. »Weißt du, auch wenn es vielleicht mal wieder übertrieben klingt, aber ich habe hier das Gefühl, ein wenig in die Zeit und in die Geschichte einzutauchen. Beide Orte sind für die Aborigines verwoben mit Ereignissen und Legenden aus ihrer Schöpfungsgeschichte.«
Nora strich sich eine Locke aus der Stirn und bemerkte, dass Martin noch Interesse zeigte. Also fuhr sie fort: »Auch die Felskuppen der Olgas haben solche Geschichten zu erzählen. Zwei der Berge sind beispielsweise ›pungalungas‹, menschenfressende Riesen, die von den Ureinwohnern nach langen Kämpfen besiegt werden konnten und dann versteinerten.«
Nora stellte ihren Rucksack ab und streckte die Beine von sich. »Der höchste Berg ist zugleich das Zuhause einer mythischen Schlange mit langen Zähnen, Mähne und Bart. Ihr Atem bildet den Wind zwischen den Bergen. Ich habe so viel gelesen und anhand von Bildern kennen gelernt, dass es für mich ein einzigartiges Gefühl ist, jetzt tatsächlich hier zu sein und alles in Wirklichkeit anschauen zu dürfen.«
Martin stupste sie mit einer Schulter an. »Das hast du dir aber
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