Nord gegen Süd
neben welchen sie jenes getragen hatte. Sie umgab es mit aller Sorgfalt, welche ihre hilflose und verlassene Lage nur gestattete. Dy dankte ihr mit einem Lächeln. Aber mit welchem Lächeln!… Mit einem traurigeren, als wenn es Thränen gewesen wären.
Im Laufe des ganzen Tages sah Zermah den Spanier nicht wieder, sie sachte ihn auch nicht. Wozu denn? Er würde doch niemals zu anderen Empfindungen kommen, und mit neuen Beschuldigungen hätte sie die Lage nur verschlechtert.
Wenn nämlich bisher seit ihrem Aufenthalte in der Schwarzen Bucht und seit ihrer Ankunft auf der Insel Carneral dem Kinde und ihr jede eigentliche schlechte Behandlung erspart geblieben war, so durfte sie von einem solchen Manne doch Alles fürchten. Es bedurfte bei ihm nur eines Wuthanfalles, um sich zu den größten Gewaltthätigkeiten hinreißen zu lassen; diese schwarze Seele war doch keiner Regung von Mitleid fähig, und da nicht einmal das Interesse über seinen Haß hatte obsiegen können, so mußte Zermah auf jede Hoffnung für die Zukunft Verzicht leisten. Was aber die Gefährten des Spaniers betraf, wie Squambo und die Sclaven, wie hätte man von ihnen verlangen können, menschlicher zu sein als ihr Herr? Diese wußten ja, welches Loos ihrer harrte, wenn einer von ihnen nur etwas Mitgefühl an den Tag legte. Von dieser Seite war also nichts zu hoffen. Zermah war demnach auf sich allein angewiesen. Ihr Entschluß war gefaßt… sie wollte in der nächstfolgenden Nacht zu entfliehen suchen.
Auf welche Weise aber? Jedenfalls mußte sie dabei den die Insel Carneral umschließenden Wassergürtel überschreiten. Wenn dieser Theil des Sees vor dem Wigwam auch nur eine geringe Breite hatte, so konnte man ihn doch nicht schwimmend überwinden. Es blieb also nur die einzige Aussicht, sich des Bootes zu bemächtigen, um das andere Ufer zu erreichen.
Der Abend kam heran, dann die Nacht, welche sehr dunkel, selbst schlecht zu werden versprach, denn schon begann es zu regnen und über den Sumpf schien sich ein tüchtiger Wind entfesseln zu wollen.
Wenn es Zermah unmöglich war, den Wigwam durch die Thür des großen Raumes zu verlassen, so konnte es vielleicht nicht schwer fallen, ein Loch in die Wand zu machen, durch dasselbe zu entschlüpfen und Dy nach sich zu ziehen. Einmal draußen, würde sie sich nach den Umständen richten.
Gegen zehn Uhr hörte man draußen nichts mehr als das Pfeifen der scharfen Windstöße. Texar und Squambo schliefen. Selbst die unter irgend welchem dichten Busche gelagerten Hunde streiften nicht mehr um die Wohnung einher.
Der Augenblick war günstig.
Während Dy noch auf ihrem Blätterlager ruhte, begann Zermah vorsichtig das Stroh und Schilfrohr herauszuziehen, die mit einander verflochten die Seitenwand des Wigwam bildeten.
Nach einer Stunde war das betreffende Loch noch nicht groß genug, daß das kleine Mädchen und sie hätten hindurch kriechen können, und schon wollte sie daran gehen, es zu erweitern, als ein Geräusch sie plötzlich unterbrach.
Dieses Geräusch kam von außen, aus der tiefen Dunkelheit. Das Gebell der Spürhunde verrieth, daß Jemand auf dem Ufer hin und her ging. Sofort erwacht, verließen Texar und Squambo ohne Zögern ihr Zimmer.
Dann ließen sich Stimmen vernehmen. Offenbar war ein Trupp Leute vom anderen Ufer des Canals angelangt. Zermah mußte ihren, augenblicklich undurchführbaren Fluchtversuch verschieben. Bald konnte man trotz des wüthenden Sturmes leicht das Geräusch von zahlreichen Schritten auf dem Erdboden unterscheiden.
Zermah lauschte gespannten Ohres. Was ging hier vor? Hatte die Vorsehung vielleicht Mitleid mit ihr? Sendete sie ihr eine Hilfe, auf welche sie nicht mehr rechnen konnte?
Nein, das begriff sie gar bald. Es hätte sonst doch offenbar zu einem Kampfe zwischen den Ankommenden und den Leuten Texar’s, zu einem Angriffe beim Ueberschreiten des Canals, zu lauten Rufen von der einen oder der anderen Seite, gewiß auch zu Gewehrschüssen kommen müssen. Doch nichts von alledem. Die Ankömmlinge bildeten vielmehr eine Verstärkung für die Bewohner der Insel Carneral.
Eine Minute später bemerkte Zermah, daß zwei Personen nach dem Wigwam zurückkehrten, der Spanier war von einem anderen Manne begleitet, der Squambo nicht sein konnte, denn draußen, nach der Seite des Canals, hörte man noch immer die Stimme des Indianers.
Zwei Menschen befanden sich jetzt aber im vorderen Zimmer, sie hatten schon angefangen mit gedämpfter Stimme zu plaudern, als sie
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