Nord gegen Süd
befreit zu werden.
Es erschien ihr also am gerathensten, den folgenden Tag abzuwarten. Da sollte aber ein Zwischenfall das ganze Gebäude umstürzen, auf das Zermah ihre letzten Aussichten gegründet hatte, während er gleichzeitig ihre Stellung gegenüber Texar compromittirte.
In diesem Augenblicke klopfte es nämlich an die Thüre des Wigwams. Es war Squambo, der sich auf eine Anfrage von innen seinem Herrn zu erkennen gab.
»Tritt ein!« sagte der Spanier.
Squambo folgte der Einladung.
»Haben Sie mir für diese Nacht Befehle zu ertheilen? fragte er.
– Keine, als daß man scharf Wache hält, antwortete Texar, und daß man mich bei dem geringsten auffallenden Zeichen benachrichtigt
– Dafür steh’ ich ein, versicherte Squambo.
– Morgen früh durchsuchen wir dann den Cypressenwald auf einige Meilen von hier aus.
– Und die Mestizin und Dy?…
– Werden ebenso gut bewacht sein wie gewöhnlich. Und nun, Squambo, erwarte ich, daß uns im Wigwam hier Keiner stört.
– Das versteht sich von selbst.
– Was machen unsere Leute?
– Sie gehen auf und ab und scheinen wenig Neigung zu haben, sich einige Ruhe zu gönnen.
– Daß keiner derselben sich entfernt!
– Nicht einer.
– Und die Witterung?…
– Ist jetzt etwas besser geworden. Es regnet nicht mehr, und auch der scharfe Wind dürfte sich bald legen.
Da klopfte es an die Thür des Wigwams. (S. 375.)
– Gut.«
Zermah hatte noch immer gelauscht. Das Gespräch schien sich offenbar seinem Ende zuzuneigen, als sich ein erstickter Seufzer, eine Art Röcheln hören ließ.
Alles Blut stürmte der Mestizin zum Herzen.
Hierher brachten sie einige Sclaven. (S. 382.)
Sie richtete sich auf, eilte nach dem Laublager und neigte sich über das kleine Mädchen…
Dy war eben erwacht, aber in welchem Zustande! Keuchende Athemzüge kamen über ihre Lippen; ihre kleinen Hände peitschten die Luft, als wollten sie diese dadurch dem Munde reichlicher zuführen. Zermah vermochte nur die Worte zu verstehen:
»Zu trinken!… Etwas zu trinken!«
Das unglückliche Kind schien dem Ersticken nahe. Sie mußte dasselbe ohne Zögern hinaus in’s Freie tragen. In der tiefen Dunkelheit nahm Zermah, halb ihrer Sinne verlustig, die Kleine in die Arme, um sie durch ihren eigenen Athem wieder etwas zu beleben. Sie fühlte, wie dieselbe sich in beängstigenden Krämpfen wand. Da entfuhr ihr ein Schrei – sie stieß die Thür ihres Zimmers auf…
Da standen vor Squambo zwei Männer, nach Gesicht und ganzer Erscheinung einander aber so ähnlich, daß Zermah unmöglich erkennen konnte, welcher von Beiden Texar war.
Fußnoten
1 Eine kleine Stadt in der Grafschaft Putnam.
2 Ein See, der die Hauptzuflüsse des Saint-John speist.
Dreizehntes Capitel.
Ein doppeltes Leben.
Wenige Worte werden hinreichen, das zu erklären, was in dieser Erzählung bisher unerklärlich schien, und der Leser wird daraus erkennen, was manche Menschen auszudenken vermögen, wenn ihre angeborne böse Natur, unterstützt von wirklicher Intelligenz, sie einmal auf den Weg des Verbrechens treibt.
Die Männer, bei denen Zermah eben unvermuthet erschien, waren zwei Brüder, und zwar Zwillinge.
Wo sie das Licht der Welt erblickt, wußten sie selbst nicht genau. Jedenfalls in einem kleinen Dorfe von Texas – woraus, durch einfache Veränderung des letzten Buchstaben, der Name Texar gebildet schien.
Jenes im Süden der Vereinigten Staaten und am Golfe von Mexiko gelegene weit ausgedehnte Gebiet ist ja hinlänglich bekannt.
Nachdem es sich gegen das Joch der Mexikaner erhoben, schloß sich Texas, das die Amerikaner bei seinem Unabhängigkeitskampfe unterstützten, im Jahre 1845 unter der Präsidentschaft John Tyler’s an die Union an. – Fünfzehn Jahre vor diesem Ereignisse wurden in einem texanischen Küstendorfe zwei ausgesetzte Kinder gefunden, aufgenommen und durch öffentliche Mildthätigkeit erzogen.
Die Aufmerksamkeit Anderer richtete sich auf diese beiden Kinder zunächst wegen ihrer ganz außergewöhnlichen Aehnlichkeit. Sie hatten dieselben Bewegungen, dieselbe Stimme und Haltung, natürlich ganz dieselben Gesichtszüge, aber, es verdient wohl hinzugefügt zu werden, leider auch dieselben Anlagen zu frühreifer Verdorbenheit. Wie sie aufgezogen wurden, inwieweit sie überhaupt Unterricht genossen und welcher Familie sie eigentlich zugehörten, das hätte Niemand sagen können; vielleicht einer jener nomadisirenden Familien, welche seit der
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