Norden ist, wo oben ist
die an der Wäscheleine flattern. „Und wenn ich das Geld nicht aus dem Wasser gefischt hätte, könnten wir jetzt keinen neuen Diesel kaufen.“
„Da hast du Recht. Daran habe ich nicht gedacht“, erwidert Mel und es freut mich, dass sie das zugibt. „Hier kann man ja auch an jeder Ecke Sprit kaufen.“ Mel hält sich die Hände wie einen Schalltrichter an den Mund und brüllt. „Hallo, Herr Tankwart! Bitte einmal volltanken!“
Da hat wiederum sie Recht. Das Geld nützt uns hier draußen überhaupt nichts.
„Wir könnten auch einen Hubschrauber rufen, der uns zwei Kanister an einem Fallschirm abwirft.“
„Das könnten wir tatsächlich, wenn wir noch unsere Handys hätten“, erwidere ich sauer und im Gegensatz zu Mel mache ich keine Witze.
„Und wie kommen wir jetzt weiter?“, fragt Mel plötzlich ganz ernst.
Die Böschung rechts und links ist zu steil, als dass wir dort hochklettern könnten. Außerdem wachsen da überall Sträucher mit langen, spitzen Dornen.
„Das kannst du vergessen, da kommen wir nie durch!“, sagt Mel, die meinem Blick gefolgt ist. „Was soll’s?! Lass uns erst mal was essen! Ich habe Hunger!“
Sie geht an mir vorbei und steigt hinunter in die Kajüte. Für einen Moment überlege ich, ob ich die Geldscheine sicherheitshalber von der Leine nehmen sollte. Wenn wir unter Deck gehen, ist keiner mehr da, der auf sie aufpasst.
Ich lasse es dann aber sein. Weit und breit ist niemand außer uns und das dürfte im Umkreis von zehn Kilometern auch nicht viel anders aussehen. Ich werfe schnell den Anker über Bord, damit wir nicht abtreiben, dann folge ich Mel unter Deck.
Als ich in die Kajüte komme, hockt Mel bereits vor dem Kühlschrank. Das scheint ihr Lieblingsplatz zu sein. Im Unterschied zu vorhin ist es jetzt im Inneren des Kühlschrankes dunkel.
„Kein Strom“, erklärt Mel und hält die Hand prüfend in das Kühlfach. „Er wird schon warm.“
Mir fällt ein, dass die Stromversorgung irgendwie mit dem Spritvorrat in Verbindung steht. Solange der Tank voll ist, gibt es keine Probleme. Wenn nicht, dann …
Ich probiere den Lichtschalter und es passiert gar nichts. Zur Sicherheit überprüfe ich noch alle anderen Schalter. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Es bleibt duster. Damit steht die folgende Ursache-Wirkungs-Kette fest: kein Diesel, kein Motor, kein Strom, keine Kühlung …
„Wenn der Strom weg ist, können wir die Pizzen nicht aufwärmen“, bemerkt Mel und schnappt sich eine aus dem warmen Kühlschrank.
Ich verlängere die Kette: kein Diesel, kein Motor, kein Strom, keine Kühlung, keine Pizza … zumindest keine heiße.
„Nein, danke. Sehr freundlich“, sage ich zu Mel, die mir einladend ein Stück entgegenhält.
„Wirklich nicht? Ist gar nicht so schlecht, wie man denken würde“, erwidert sie und knabbert an der halb aufgetauten Pizza. Aber Mel mag ja auch kalte Pommes.
„Wir müssen schleunigst ins nächste Dorf“, sage ich.
„Und wie? Sollen wir schwimmen?“
„Natürlich nicht“, antworte ich und kriege eine Gänsehaut, weil ich an den Hai denken muss, der irgendwo da draußen mit meinem Fünfziger im Bauch herumpaddelt.
„Darüber können wir morgen nachdenken. Heute kommen wir eh nicht mehr weiter“, sagt Mel und zeigt aus dem Kajütenfenster.
Draußen wird es schnell dunkel, und wahrscheinlich sollten wir wirklich besser den nächsten Tag abwarten. Morgen Früh fällt uns bestimmt etwas ein.
Ich hole eine Kerze aus einer Schublade und Mel schleppt ein Skatspiel an, das sie in einer Spielekiste gefunden hat.
Wir spielen so lange Mau-Mau, bis wir beide müde sind und die Kerze bis auf einen kleinen Stumpen heruntergebrannt ist. Mel gewinnt fast immer, und ich habe den starken Verdacht, dass sie schummelt. Obwohl ich scharf aufpasse, kriege ich einfach nicht raus, wie sie es macht.
Als wir Schluss machen, falle ich todmüde in ein Bett und Mel in das andere. Solange die Kerze brannte, haben sich die Mücken zurückgehalten. Jetzt blasen sie zum Angriff. Aber selbst das kann mich nicht mehr stören. Sollen sie mich ruhig stechen. Hauptsache, ich kann endlich pennen. Während ich wegdämmere, schießen mir nicht einmal irgendwelche Horrorgeschichten durch den Kopf und ich frage mich, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist. Ehe ich darauf eine Antwort finde, bin ich auch schon eingeschlafen.
Auch an diesem Morgen ist Mel vor mir wach. Ich höre sie an Deck herumpoltern und dann plötzlich brüllen: „Es ist
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