Nordermoor
schwer beizukommen war. Er ging sehr bedächtig vor, setzte immer wieder die Harke an und versuchte, kleine Häufchen zu machen. Er wohnte immer noch in Keflavík. War dort geboren und aufgewachsen.
Erlendur hatte Elinborg gebeten, Informationen über ihn einzuholen, und sie hatte das Wichtigste über den alten Mann im Garten zusammengetragen, seine Polizeilaufbahn, die Verweise, die er wegen seines Auftretens und seiner Arbeitsmethoden erhalten hatte, und das waren in langen Dienstjahren viele gewesen; wegen der Angelegenheit mit Kolbrún hatte er eine Abmahnung bekommen. Elinborg hatte Erlendur noch einmal telefonisch Informationen durchgegeben, als er in Keflavík gerade einen Imbiss zu sich nahm. Er hatte überlegt, ob er den Besuch auf den nächsten Tag verschieben sollte, fand aber, dass er keine Lust hatte, bei dem widerlichen Wetter ständig nach Keflavík zu fahren.
Der Mann trug einen grünen Winteranorak und eine Basketballkappe auf dem Kopf. Die weißen, knochigen Hände umklammerten den Schaft der Harke. Er war groß und war früher sicher muskulöser und imposanter gewesen, aber jetzt war er alt und zusammengefallen, und die Nase triefte ihm. Erlendur schaute zu, wie der Greis in seinem Garten hinter dem Haus werkelte. Der Mann blickte nicht von seinem Laub hoch und schenkte ihm keinerlei Beachtung. So verging eine ganze Weile, bis Erlendur beschloss, zur Tat zu schreiten.
»Weshalb will die Schwester nicht mit mir reden?«, sagte er und sah, wie der Alte hochschreckte.
»Was? Was soll denn das?« Der Mann schaute zu ihm hoch. »Wer bist du?«, fragte er.
»Wie habt ihr reagiert, als Kolbrún die Strafanzeige bei euch erstatten wollte?«
Der alte Mann schaute auf diesen Unbekannten, der in seinem Garten stand, und wischte mit dem Handrücken den Tropfen unter der Nase weg. Er blickte auf Erlendur hinunter.
»Kennen wir uns?«, fragte er. »Wovon redest du eigentlich? Wer bist du?«
»Ich heiße Erlendur. Ich untersuche den Mord an einem Mann namens Holberg in Reykjavík. Er ist vor fast vierzig Jahren wegen Vergewaltigung angezeigt worden. Damals hast du die Ermittlung geleitet. Kolbrún hieß die Frau, die vergewaltigt wurde. Sie ist tot. Ihre Schwester weigert sich, mit der Polizei zu sprechen, aus Gründen, die ich gerade herauszufinden versuche. Sie sagte zu mir: ›Nach dem, was ihr ihr angetan habt.‹ Ich hätte gern, dass du mir erzählst, was es war, das wir ihr angetan haben.«
Der Mann schaute Erlendur an, ohne ein Wort zu sagen. Schaute ihm in die Augen und schwieg.
»Was war es, das wir ihr angetan haben?«, wiederholte Erlendur.
»Ich kann mich nicht erinnern … Was für eine Befugnis hast du eigentlich? Was soll diese Unverschämtheit?« Die Stimme zitterte ein wenig. »Mach, dass du aus meinem Garten kommst, oder ich rufe die Polizei.«
»Hör mal, Rúnar, ich bin die Polizei. Und ich hab keine Zeit für albernes Geschwätz.«
Der Mann dachte nach.
»Ist das die neueste Methode? Leute mit Andeutungen und Unverschämtheiten zu behelligen?«
»Gut, dass du Methoden und Unverschämtheiten erwähnst«, sagte Erlendur. »Du hast innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums acht Dienstaufsichtsbeschwerden wegen Fehlverhaltens bekommen, unter anderem wegen Brutalität. Ich weiß nicht, vor wem du gebuckelt hast, um den Job zu behalten, aber anscheinend hast du zum Schluss etwas nachgelassen, denn du bist mit Schimpf und Schande aus dem Polizeidienst entlassen worden. Gefeuert …«
»Halt die Schnauze«, sagte der Mann und schaute sich um. »Wie kannst du es wagen …«
»… wegen wiederholter und grober sexueller Belästigung.«
Die weißen, knochigen Hände umklammerten den Schaft der Harke, die farblose Haut straffte sich, und die Knöchel traten hervor. Das Gesicht verhärtete sich, hasserfüllte Linien bildeten sich um den Mund, die Augen zogen sich zusammen, bis sie halb geschlossen waren. Erlendur hatte auf dem Weg nach Keflavík, als Elinborg’s Informationen wie Stromstöße durch sein Bewusstsein jagten, überlegt, ob es richtig war, diesem Mann etwas vorzuhalten, was er in einem anderen Leben, zu einer anderen Zeit, getan hatte. Erlendur war lange genug bei der Polizei gewesen, um sich an Geschichten über diesen Mann zu erinnern, über die Probleme, die er verursacht hatte. Er erinnerte sich an Rúnar. Er hatte ihn vor vielen Jahren zwei-oder dreimal getroffen, aber jetzt war er so alt und senil geworden, dass Erlendur, als er bei ihm im Garten stand, eine
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