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Norderney-Bunker

Norderney-Bunker

Titel: Norderney-Bunker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Reuter
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kaum die Rede sein. Wenn hier etwas müffelte, dann ein alter, eiserner Räucherofen, in dem in den vergangenen vierzig, fünfzig Jahren so manche Scholle und so mancher Lachs zubereitet worden war.
    Unter zunehmendem Glucksen in seinem Magen stand Winnetou nun auf. Er wunderte sich, dass der Bunker zwei – wenn auch sehr kleine – Nebenräume besaß. Diese standen komplett leer. Dafür hielt der Hauptraum noch ein paar Überraschungen parat. In der rechten hinteren Ecke fanden sich neben Sitzauflagen, die in eine Plastikplane sauber verpackt waren, rund zwanzig Porzellanteller unterschiedlicher Größen: tiefe, flache und Dessertteller. Alle von Seltmann Weiden . Die Besitzerin musste das Geschirr aussortiert haben, weil es nicht mehr komplett war. Nun zeigte es sich verstaubt, aber ansonsten noch tadellos. Wenn man die Teller abwusch, konnte man problemlos davon essen, überlegte Winnetou, der glaubte, sich mittlerweile beim Denken vollkommen absurden Zeugs zu erwischen. Das musste mit dem Hunger zu tun haben und mit dem Durst, der ihn und Lübbert allmählich in die Knie zwang, dachte er. Um sich abzulenken, schaute er sich weiter um.
    Nicht weit von der stählernen Eingangstür standen zwei alte Fahrräder, die schon jede Menge Rost angesetzt hatten. Gleich dahinter fand sich eine Schubkarre. Die schien in den vergangenen Jahren allerdings kaum noch benutzt worden zu sein. Auch der Inhalt nicht: zwei rote und zwei gelbe Plastikeimer, eine kleine blaue Schaufel, ein Sieb und eine gelbe Plastikente mit rotem Schnabel.
    Beim genauen Hinschauen wollte Winnetou seinen Augen nicht trauen. War es der Hunger, der ihn nun tatsächlich bereits kopflos gemacht hatte, oder war es die Wahrheit? Inmitten der Sandspielsachen lag eine Flasche Bier. Vorsichtig nahm er sie zur Hand. Dann las er den Text auf dem Etikett: „Wasser, Gerstenmalz, Hopfen, Hopfenextrakt.
alc 4,8 % vol, 0,33 Liter. Mit besten Rohstoffen nach traditioneller Braukunst hergestellt.“
    Das Vorlesen dieses Textes machte Lübbert hellhörig.
    „Bist du jetzt vollkommen durchgeknallt, oder was ist los?“, fragte er.
    „Komm her und überzeuge dich selbst“, sagte Winnetou und hielt Lübbert die Flasche hin.
    „Tatsächlich. Bier.“ Dann führte er das Etikett ganz nah vor die Augen und las: „Mindestens haltbar bis: 27. Dezember.“
    „Das haut hin“, sagte Winnetou. Die trinken wir nun ganz gemütlich. Das haben wir uns verdient.“
    Lübbert nickte und schluckte und schluckte und nickte. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Gleichzeitig nahmen beide wieder Platz. Winnetou kramte sein Feuerzeug aus der Hosentasche und katapultierte den Kronkorken mit einer geschickten Hebelbewegung zwischen Daumen und Verschlusskante vom Flaschenhals.
    „Wer darf zuerst?“, fragte Lübbert.
    „Du“, antwortete Winnetou.
    „Nein du“, sagte Lübbert. „Du hast die Pulle gefunden.“
    „Nein, nimm du den ersten Schluck. Du hast uns das Hotel hier schließlich besorgt.“
    Beide lachten. Warum sie in dieser Situation lachen konnten, erschloss sich ihnen nicht.
    Was spielte es aber auch schon für eine Rolle? Zumindest für einige Augenblicke konnte eine Flasche Bier dem Leben Optimismus einflößen. Das war für den Moment alles, was zählte.
    „Kopf oder Zahl“, fragte Lübbert schließlich.
    „Kopf“, antwortete Winnetou.
    Und während Lübberts allerletzte Ein-Euro-Münze durch die Luft wirbelte und drehte, erschütterte ein ohrenbetäubendes Bollern und metallenes Knirschen den aufkommenden Frieden im Norderneyer Insel-Bunker. Lübbert und Winnetou starrten sich an. Beiden trat der Schweiß auf Stirn, Nacken und Rücken. Bei Lübbert quollen die Augäpfel hervor, Winnetou stockte der Atem. Das Bollern wiederholte sich, ebenso das Knirschen, das von der Eingangstür hereindrang. Zum Knirschen gesellte sich nun auch noch ein fürchterlich hoher Quietschton, der durch Mark und Bein fuhr. Lübbert schaltete als Erster. Er drehte den Lichtschalter aus.
    Mit dem Löschen des Lichts ließen auch die metallenen Geräusche nach. Gleichzeitig drang ein angenehmer, kühler Windhauch in den Bunker. Winnetou und Lübbert saßen währenddessen beide in der Dunkelheit wie in Stein gemeißelt am Tisch. Ihre Herzen schlugen hoch und höher, in den Schläfen pochte der Puls. Draußen schien es zu regnen.
    „Ich finde den verdammten Lichtschalter nicht“, hörten sie einen Mann mit außergewöhnlich tiefer Stimme sagen.
    „Mach mal das Feuerzeug an“, entgegnete

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