Norderney-Bunker
stattdessen sieben Jahre und drei Monate hinter schwedische Gardinen.“
Frauke schürzte die Lippen und rümpfte die Nase: „Und das hat die Mayer-Lübbecke jetzt noch einmal aufgewärmt. So so.“
„Ja. Und das wird nicht jedem passen. Seiner Witwe Juliane am wenigsten. Und uns auch nicht.“
„Wieso?“
„Vielleicht hatte der Türke ja noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.“
„Der ist doch schon seit fast zwei Jahren wieder auf freiem Fuß.“
Gent wischte sich mit dem blanken Handrücken den Mund ab und hob die Kaffeetasse: „Weißt du, Schatz. In der Branche ist alles möglich. Ich glaube zwar auch nicht, dass der Mord an Onno in Verbindung mit dem Kölner Rotlicht-Milieu steht. Aber überprüfen werden wir das sehr wohl. Gerade in unserem Job hat man schon Pferde vor der Apotheke kotzen gesehen.“
Gent hatte diesen Satz soeben zu Ende gebracht, da klingelte es an der Tür. Frauke stand auf, richtete sich den Morgenmantel und tapste barfuß zur Haustür. Bis in die Küche hörte Gent die Stimme seines Kollegen Neumann. Der schien einmal mehr übernervös und aufgeregt zu sein.
„Hauptkommissar Faust schickt mich. Ich soll Gent abholen. Um elf Uhr ist große Pressekonferenz im Conversationshaus . Es sind schon ganz viele Fernseh- und Radioleute da“, erzählte Neumann mit weit aufgerissenen Augen und fast ohne Atem zu holen.
„So trink doch erst einmal einen Kaffee mit uns“, bat ihn Frauke, während sie Neumann in die Küche führte.
„Lass’ mal“, unterbrach sie Gent. Er hatte seine Jacke bereits übergezogen und die Schuhe geschnürt. Mit hochrotem Kopf stand er vor Frauke und Neumann. Leise schnaubend sagte er: „Wir fahren sofort los.“
Im Türrahmen quetschte er sich an Frauke vorbei und küsste sie flüchtig auf die Stirn. Neumann folgte ihm. Dann stiegen die beiden Polizisten in den Wagen. Gent übernahm das Steuer und fuhr mit quietschenden Reifen los. Frauke stand an der Haustür und schaute ihnen nach. Sie weinte.
* * *
An der Stirnseite des Kurplatzes, direkt vor dem altehrwürdigen Conversationshaus , dort also, wo sonst mondän flaniert und entspannt promeniert wird, wurde an diesem Vormittag eifrig recherchiert. Gleich vier Übertragungswagen von öffentlichen rechtlichen Fernsehanstalten sowie von privaten Anbietern waren in Position gebracht worden, wo vor zwei Monaten noch die Schöner-Leben-Experten von Schloss Gödens exquisites Wohn- und Gartenmobilar sowie jede Menge kulinarische und textile Kostbarkeiten feilgeboten hatten.
Als Carlo Faust und Gent Visser auf den Haupteingang zugingen, fiel ihnen gleich die scheinbar außerordentlich belustigte Trägerin zitronengelber Leggings auf. Sie war etwa Mitte dreißig, trug über den Leggings einen anthrazitfarbenen Rock mit bunten Blumenmustern und silbern glitzernden Applikationen. Sie lachte aus voller Brust. Dies im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre Oberweite war beträchtlich, ihr himbeerroter, eng anliegender Rollkragenpullover, der eine nicht unerhebliche Öffnung im oberen Brustbereich aufwies, sog die Blicke ihrer Kollegen geradezu an. In der Tat: Ihre Figur war tadellos, wenngleich sie sich mit ihren extrem hochhackigen Schuhen, die Waden-, Bein- und Gesäßpartie in durchaus mehr als nur aparter Weise betonten, auf dem aufgeweichten Kurplatzrasen etwas unbeholfen bewegte.
„Schau dir die mal an. Die ist unter Garantie vom Fernsehen. Darauf verwette ich alles, was mir lieb und teuer ist“, sagte Faust.
„Woran sieht man das?“, wollte Visser wissen.
„Wie die gekleidet ist, und vor allem, wie die sich gibt. Die glaubt, sie ist was ganz Besonderes.“
Als die Polizisten näher kamen, sahen sie, dass die Fernsehpuppe die Badezeitung in der Hand hielt. Die umstehenden TV-Kollegen hörten ihr aufmerksam zu, andere schauten sie nur an, als sie las:
„Gestern rückte die Feuerwehr Norderney zu ihrem 38. Einsatz für dieses Jahr aus. Alarmierung war um 17.35 Uhr. Ausgelöst hatte die automatische Brandmeldeanlage im Haus Maria am Meer . Vor Ort konnten die Wehrleute feststellen, dass die Anlage durch Dampf von Bügelarbeiten ausgelöst wurde. Der Brandmelder wurde wieder betriebsbereit geschaltet, sodass die 18 Feuerwehrkameraden mit einem Löschfahrzeug und dem Drehleiterwagen rasch wieder abrücken konnten.“
Während sich die TV-Reporterin vor Lachen schüttelte, bohrten sich ihre Absätze zentimetertief in den Rasen. Wie gut, dass Faust schon Tuchfühlung aufgenommen hatte und die Journalistin
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