Norderney-Bunker
ziehen wir wieder los. Ich habe da drüben ein Haus gesehen, das ist unter Garantie zurzeit unbewohnt.“
„He, Apache. So kenne ich dich ja gar nicht. In dir steckt ja kriminelle Energie.“
„Hör auf zu quatschen. Außerdem ist morgen der 17. Juni. Mein Geburtstag. Auf dein Geschenk bin ich sehr gespannt. Du weißt: Du hast bei mir noch einiges gutzumachen.“
Als Gent Visser das Soko-Büro in der ersten Etage des Norderneyer Rathauses betrat, saß sein Kollege Faust hinter seinem Schreibtisch. Er war allein im Raum. Sein linkes Bein hatte er angewinkelt auf der Tischplatte abgelegt, das andere Bein stützte er an der Kante des Nachbarschreibtischs ab. Sein Blick ging versonnen gegen die weiße Decke. Als Visser das Zimmer betrat, wandte Faust ihm das Gesicht zu.
„He, Herr Kollege“, begrüßte ihn Gent.
„Moin, Herr Visser“, erwiderte Faust.
„Auf Norderney sagt man , He! ‘, wenn man sich begrüßt. Wir sind hier ja schließlich nicht auf dem Festland“, knurrte Visser, der einen leicht genervten Eindruck hinterließ.
„Sie sollten mal wieder eine Zigarette rauchen. Vielleicht bessert sich dann Ihre Laune“, gab Faust zurück.
„Lassen Sie meine Gesundheit bitte meine Sache sein. Erzählen Sie mir lieber, wie es bei Juliane Aden war.“
Faust nahm das Bein vom Schreibtisch und setzte sich ordnungsgemäß auf seinen Stuhl. Dann grinste er über beide Ohren und sagte: „Die Aden hat ein Arschgeweih!“
Visser glaubte, sich verhört zu haben. Er hatte sich inzwischen auf seinen Drehstuhl gelümmelt und starrte Faust fassungslos an.
„Bitte? Was ist los?“
„Die Aden hat ein Arschgeweih. Sie haben richtig verstanden, Herr Kollege.“
Visser hielt für einen Augenblick den Atem an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Hinsichtlich erotischer Abenteuer traute er Faust ja eine ganze Menge zu. Aber dass er mit der Witwe eines Mordopfers drei Tage nach dem Verbrechen und schon während der heißesten Ermittlungsphase auf Tuchfühlung gehen würde; nein, das konnte nicht sein. Visser biss sich nervös auf die Unterlippe und schaute reichlich verunsichert Richtung Faust. Er hatte keine Lust, sich von ihm vorführen zu lassen. Als der aber weiter schwieg und grinste, platzte Visser der Kragen.
„Wenn Sie glauben, mich hier verarschen zu können, dann haben Sie sich geschnitten, Herr Kollege. Auch wenn Sie zurzeit hier auf der Insel mein direkter Vorgesetzter sind, dann sage ich Ihnen, dass ich keinerlei Lust verspüre, mich zum Deppen machen zu lassen.“
Vissers Blutdruck stieg. Sein Kopf war hochrot, er atmete schwer. Er riss sich seine Jacke förmlich von den Schultern und warf sie quer durch den Raum Richtung Faust. Dann setzte er seine Schimpftirade fort: „Wenn Sie weiter mit mir zusammenarbeiten und von meinem Hintergrundwissen hier auf der Insel profitieren wollen, dann behandeln Sie mich gefälligst wie einen ebenbürtigen Kollegen. Ihre Arroganz geht mir auf den Sack. Und zwar gewaltig!“
Das hatte gesessen. Langsam erhob Faust sich von seinem Stuhl. Er stand mitten im Zimmer, die Hände brav an der Hosennaht. Mit einem Mal herrschte in dem Raum absolute Stille und eine Atmosphäre, wie man sie nur spürt, wenn kurz zuvor ein schweres Gewitter mit Platzregen und kirschkerngroßen Hagelkörnern einen stattlichen Landstrich erschüttert und gleichzeitig die landwirtschaftliche Frucht eines kompletten Sommers zerstört hat. Visser lehnte sich nun mit dem Rücken gegen die Wand, die zum Flur führte. Er hörte das Tuscheln von Mitarbeitern des Staatsbads und der Stadtverwaltung, die seinen Wutausbruch sicher mitbekommen hatten. Unten vom Kurplatz drangen durch die geöffneten Fenster Stimmen von Passanten in den Raum, außerdem der helle Gesang eines Jugendchors, der sich in der Konzertmuschel versammelt hatte.
„Es tut mir leid, Herr Visser.“ Fast im Flüsterton entschuldigte sich der Soko-Chef beim Norderneyer Revierleiter. „Ich weiß. Manchmal komme ich ein wenig überheblich rüber. Soll nicht wieder vorkommen. Kommen Sie, ich lade Sie zum Kaffee ein. Dann tauschen wir uns aus. Aber ernsthaft.“
Dann reichte er Visser die Hand. Er nahm sie.
Winnetou und Lübbert hatten den Tag mit Schlafen verbracht. Schinken, Käse, Wurst und Senf lagen ihnen schwer im Magen. Sie waren einfach mit zu viel Gier über ihre erste Bunkermahlzeit hergefallen. Als sie aufwachten, froren sie.
„Wir brauchen Decken“, sagte Winnetou schnatternd. Er rieb sich die Augen und blies die
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