Nordfeuer - Kriminalroman
der jungen Frau erzählt. Der wiederum hatte davon bei seinem Einkauf
im SPAR-Markt erfahren.
»Wenn die Leiche man nicht Katrin
Martensen ist«, mutmaßte Haie.
»Aber was soll die denn in der Schule
gewollt haben? Oder unterrichtet die auch bei euch?«
Tom kannte Fritz Martensen lediglich
vom Sehen. Wer wusste nicht, wer der bullige Bauer aus dem Herrenkoog war? Schließlich
gehörte er zu den reichsten Leuten im Dorf, besaß viele Hektar Land und jede Menge
Vieh. Aber ansonsten war ihm über die Familie des Landwirts nicht sonderlich viel
bekannt.
Anders verhielt es sich natürlich
bei Haie.
»Nee, aber irgendwie sagt mir mein
Gefühl, die Leiche und das Verschwinden von Katrin hängen irgendwie zusammen. Passt
ja auch zeitlich.«
»Und was ist dann mit Holger Leuthäuser?«,
versuchte Tom den Freund daran zu erinnern, dass es auch noch andere mögliche Opfer
gab.
»Der scheint doch auch wie vom Erdboden
verschluckt zu sein, oder?«
Thamsens Schuhe schmatzten leise bei jedem seiner Schritte über den
Linoleumfußboden. Der Zustand seines Vaters war unverändert. Seit gestern lag er
auf der Intensivstation. Diagnose – Schlaganfall.
Die Ärzte wollten sich noch nicht
so recht äußern, aber alles deutete auf mögliche Folgeschäden hin. Wenn Hans Thamsen
überhaupt wieder aus dem Koma erwachte. Seine Mutter war außer sich vor Sorge. Sie
wich nicht von der Seite seines Vaters und hatte die Nacht im Krankenhaus verbracht.
»Ich kann ihn doch jetzt nicht alleine
lassen«, hatte sie entsetzt auf seine Frage geantwortet, ob er sie nach Hause bringen
solle.
Er stellte die kleine Reisetasche
in der Durchgangsschleuse zum Krankenzimmer ab und streifte sich einen Kittel und
eine Haube über. Dann rieb er seine Hände mit Desinfektionsmittel ein und öffnete
die Tür.
Seine Mutter saß zusammengesunken
neben dem Krankenbett. Sie war blass, und Dirk konnte an ihren geröteten Augen erkennen,
dass sie geweint haben musste. Als sie ihn bemerkte, schüttelte sie leicht den Kopf
und ihm war sofort klar, am Zustand seines Vaters hatte sich nach wie vor nichts
geändert.
Hans Thamsen lag bleich und bewegungslos
in einem Krankenbett, ringsherum piepsende und blinkende Geräte, von denen Kabel
und Schläuche zum Körper hinführten.
Dirk fragte sich, ob sein Vater
überhaupt noch lebte oder ob er einzig und allein von den Apparaturen am Leben gehalten
wurde. Doch er zwang sich sofort, diesen abscheulichen Gedanken zu verwerfen. Er
musste seiner Mutter jetzt beistehen. Noch konnten die Ärzte nichts mit Sicherheit
sagen, außer dass es zu einem plötzlichen Verschluss eines Blutgefäßes im Gehirn
gekommen war und dadurch das Gewebe zuwenig Sauerstoff erhalten hatte.
»Komm, wir gehen einen Kaffee trinken«,
flüsterte er seiner Mutter zu, die wider Erwarten zustimmte. Mühsam erhob sie sich
von dem Stuhl, streichelte müde die Hand ihres Mannes und folgte Dirk zur Tür.
Ihm fiel auf, wie alt seine Mutter
geworden war. Im normalen Tagesgeschehen hatte er das gar nicht so recht wahrgenommen,
aber als er sanft seinen Arm um sie legte, spürte er ihre Knochen unter der dünnen
Haut.
»Haben die Ärzte noch etwas gesagt?«,
fragte er, als sie in der Cafeteria Platz genommen und er ihr einen Kaffee gebracht
hatte.
»Nein, noch können sie nichts sagen.
Wir müssen abwarten«, sagte sie und rührte kraftlos in ihrer Tasse. Er griff über
den Tisch hinweg nach ihrer Hand.
»Das wird schon wieder«, versuchte
er sie aufzubauen.
»Ich weiß nicht«, murmelte sie.
»Dein Vater ist nicht so stark, wie er immer vorgibt. Vielleicht war das in letzter
Zeit doch alles ein wenig zu viel für ihn.«
Thamsen ahnte, was seine Mutter
damit meinte und augenblicklich meldete sich sein schlechtes Gewissen.
Als Dirk die Kinder am Sonntag bei
seinen Eltern abgeholt hatte, war es zwischen ihm und seinem Vater mal wieder zu
einem Streit gekommen.
Hans Thamsen war der Meinung, Dirk
lud die Enkelkinder zu oft bei ihnen ab und entledigte sich damit seiner väterlichen
Pflichten.
»Meine Pflichten sind vor allem,
Geld zu verdienen, um den Kindern ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen geben
zu können«, hatte Dirk gekontert, doch mit dieser Aussage seinen Vater wenig beeindrucken
können.
Wenn er Job und Familie nicht unter
einen Hut bringen könne, dann müsse er sich halt eine andere Arbeit suchen, hatte
Hans Thamsen stattdessen argumentiert und letztendlich den Nagel eigentlich direkt
auf den Kopf getroffen.
Dirk wusste
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