Nordfeuer - Kriminalroman
Meer.
Marlene war an diesem Vormittag
auf der Suche nach einer passenden Örtlichkeit für den Theodor-Storm-Ehrentag und
fuhr Richtung Nordsee.
Eigentlich hätte sie sich lieber
mit der bevorstehenden Hochzeit beschäftigen sollen. Ein paar Kleinigkeiten musste
sie selbst noch organisieren. Aber komischerweise stand ihr momentan nicht der Sinn
danach. Obwohl sie sich auf die Hochzeit mehr als auf alles andere auf der Welt
freute. Es war immer ein Traum von ihr gewesen, zu heiraten und eine Familie zu
gründen. Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als wenn dies leider nur ein Traum bleiben
sollte. Dann aber war ihr Tom begegnet. Vor ungefähr fünf Jahren. Er hatte einen
Zusammenstoß mit einem Reh auf der B5 und sie war als Erste am Unfallort gewesen.
Seitdem hatten sie sich getroffen und waren bereits kurz darauf ein Paar geworden.
Einige Höhen und Tiefen hatte es
in ihrer Beziehung gegeben, aber trotz der Schwierigkeiten liebten sie sich heute
mehr als je. Das war selten und ein großes Glück, jemanden gefunden zu haben, der
einen ebenso liebte, wie man ihn. Sogar Kinder wollten sie haben. Und trotz alledem
konnte Marlene sich nicht auf die Hochzeitsvorbereitungen konzentrieren und war
heute dankbar, ihrer Mutter die Planung überlassen zu haben. Auch wenn sie anfangs
nicht begeistert davon gewesen war.
Aber momentan spukten ihr entweder
Theodor Storm und das Projekt anlässlich des Gedenktages im Kopf herum oder die
Brände im Dorf. Insbesondere das Feuer an der Grundschule beschäftigte sie, erst
recht, seit sie wusste, dass auch noch jemand ermordet worden war.
Kurz vor Dagebüllhafen bog sie ab
und fuhr am Außendeich entlang Richtung Schlüttsiel. Sie wusste, dass die Gaststätte
auch Räume für Feierlichkeiten anbot und vielleicht war dies ein Ort, an dem man
die Gedenkfeier ausrichten konnte. Im Hauke-Haien-Koog gelegen, bot sie auf jeden
Fall einen passenden Rahmen.
Marlene hatte beschlossen, die Feier
auf keinen Fall im Husumer Schloss stattfinden zu lassen. Gut, Husum war die
Stadt , wenn es um Theodor Storm ging. Aber man konnte den Dichter doch auch
durch seine Werke ehren. Und was eignete sich besser als ein Ort, der nach seiner
bekanntesten Erzählfigur benannt war?
Immer wieder bewunderte sie den
Dichter dafür, wie er eine Figur erschaffen hatte, die die meisten Nordfriesen schlichtweg
als einen der ihren bezeichneten, als hätte er einst tatsächlich gelebt. Unterstrichen
wurde diese Tatsache 1961 durch die Benennung des neu gewonnenen Kooges nach Hauke
Haien.
Marlene hatte die Gaststätte erreicht
und lenkte ihren Wagen auf den Parkplatz. Als sie ausstieg hatte der Wind ein Loch
in die graue Wolkendecke gerissen und die Sonne warf für einen kurzen Augenblick
ein paar Strahlen auf die Erde. Trotzdem blieb es kalt und Marlene zog sich ihre
Fleecejacke über und kletterte auf den Deich.
Es war Flut, und die frische Brise,
die vom Meer her wehte, peitschte das Wasser der Nordsee zu Wellen auf. Wie gut,
dass der Deich die Landschaft schützte, denn das Meer konnte sich zu einem wahren
Ungeheuer erheben und zerstörerische Kräfte entwickeln.
Marlene schlang die Arme um ihre
Schultern. So sehr sie das Meer auch liebte, der Gedanke an die großen Sturmfluten,
die hunderte von Menschen in den Tod gerissen hatten, ließ sie immer wieder frösteln.
Schnell wandte sie sich um und lief hinüber zur Gastwirtschaft.
In den Wintermonaten war das Restaurant
direkt am Schlüttsieler Hafen, im Schutz des Deiches gelegen, meist nur an den Wochenenden
gut besucht. Doch jetzt im Mai hatten bereits die ersten Feriengäste den Weg nach
Norddeutschland gefunden, und etliche Tische waren auch unter der Woche vor allem
zur Mittagszeit besetzt.
Sie wählte einen Platz am Fenster
und bestellte einen Pfefferminztee. Dann fragte sie die Bedienung, ob jemand ihr
die Räumlichkeiten für größere Feiern zeigen könne.
»Oh, wollen Sie heiraten?«
Diese Frage konnte Marlene schwerlich
verneinen, jedenfalls nicht, ohne zu lügen. Trotzdem wollte sie nicht vorgeben,
mit dem Gedanken zu spielen, ihre Hochzeit hier zu feiern.
»Nein, ich suche etwas für einen
öffentlichen Empfang.«
»Mit wie vielen Gästen?«
Über die Gästeliste hatte sie sich
noch gar keine Gedanken gemacht. Wen lud man ein zu solch einem Ehrentag? Lag das
überhaupt in ihrem Bereich?
»Vielleicht so hundert Leute«, schätzte
sie daher vorsichtig.
»Oh«, winkte die Kellnerin ab, »das
wird eng. Aber ich zeige Ihnen trotzdem gerne mal
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