Nordfeuer - Kriminalroman
ist, wenn er lügt und den
Gips nur trägt, um andere Wunden zu kaschieren«, mischte Marlene sich nun wieder
in das Gespräch ein.
»Du meinst vielleicht Verletzungen,
die von einer Explosion herrühren könnten?«
Thamsen saß mit seinen Kindern in der Cafeteria des Krankenhauses.
Gleich nach dem Anruf hatten sie sich mit seiner Mutter auf den Weg gemacht. Die
Situation war ernst. Das Aneurysma im Kopf seines Vaters war gerissen. Die Ärzte
mussten sofort operieren.
Seine Mutter hatte sich geweigert,
auch nur einen Zentimeter von der Seite ihres Mannes zu weichen. Bis zum OP Saal
war sie neben dem Bett gegangen und hatte seine Hand gehalten. Dann wollte sie vor
dem Raum warten, obwohl man ihr sagte, es könne mehrere Stunden dauern.
Dirk Thamsen
war daher mit Anne und Timo einen Kakao trinken gegangen. Am Sonntagnachmittag war
in dem kleinen Gastraum jede Menge Betrieb. Viele Leute besuchten ihre Angehörigen,
und wer nicht ans Bett gefesselt war, ging entweder in den kleinen Park oder die
Cafeteria, um zumindest für ein paar wenige Augenblicke dem tristen Krankenhausalltag
zu entkommen.
»Am besten ich rufe Mama an, und
frage, ob sie euch abholen kann«, überlegte er laut, nachdem die Kinder ihren Kakao
ausgetrunken und anschließend noch ein Eis vertilgt hatten.
»Ich dachte, wir fahren an die Nordsee«,
bemerkte Anne, die den Ernst der Lage entweder nicht ganz erfasst hatte oder ihn
schlichtweg verdrängte.
»Bist du blöd«, fuhr Timo seine
kleine Schwester an. »Opa stirbt. Da fahren wir bestimmt nicht ans Meer zum Baden.«
»Timo«, wies Thamsen seinen Sohn
zurecht, bereute es aber augenblicklich. Der Junge hatte selbst große Angst, was
an seinem Gesichtsausdruck deutlich abzulesen war.
»Großvater
stirbt nicht«, versuchte er daher beide zu beruhigen, denn auch Anne war durch die
Äußerung ihres Bruders vor Schreck wie versteinert. »Er muss nur operiert werden
und danach geht es ihm besser.«
Er wusste selbst, dass es eine Lüge
war und die Kinder merkten das sofort.
»Und wieso hat Oma dann so doll
geweint?«, fragte Anne.
»Na, ja«, Thamsen suchte krampfhaft
nach den richtigen Worten. Es war nicht leicht zu erklären, denn allein die Narkose
würde sein Vater wahrscheinlich nicht überleben. Vorsichtig hatte der behandelnde
Arzt seine Bedenken geäußert. Wenn man Hans Thamsen jedoch nicht operierte, bestand
gar keine Überlebenschance.
»So eine OP ist immer auch ein bisschen
gefährlich, weißt du. Aber die Ärzte kriegen das schon hin«, beruhigte er mehr sich
selbst als die Kinder. Seltsamerweise wurde ihm gerade jetzt bewusst, was es eigentlich
bedeutete, wenn sein Vater starb.
Um seine Mutter
machte er sich nicht allzu große Sorgen. Sie würde auch gut alleine klar kommen.
Und letzten Endes waren er und die Kinder ja auch noch da.
Aber er hatte noch so viele Fragen.
Fragen, deren Antwort einzig und allein sein Vater ihm geben konnte. Zum Beispiel,
warum er ihn nie lieb gewonnen hatte, warum er ihn immer wie einen Eindringling,
einen Störenfried behandelt hatte.
Niemals hatte sein Vater ihm auch
nur die kleinste Zuwendung entgegen gebracht. Er musste ihn ja nicht lieben, aber
Thamsen hatte immer das Gefühl, als hasse sein Vater ihn und alles, was mit ihm
zu tun hatte.
Für seinen Beruf hatte er sich nie
interessiert. Keinerlei Stolz gezeigt für das, was sein Sohn leistete. Und seine
Enkel? Die hatte er ebenso links liegen lassen. Aber warum? Thamsen wusste es einfach
nicht.
»Moin, Moin«, Haie streckte Holger Leuthäuser die Hand zur Begrüßung
entgegen.
Der angehende Lehrer starrte ihn
sprachlos an.
»Bin mit meinen Freunden auf’m Weg
nach Bredstedt und wollte mal kurz schauen, wie es dir geht.« Er deutete auf Tom
und Marlene, die sich ein wenig im Hintergrund hielten.
Eigentlich waren die drei Freunde
gar nicht nach Bredstedt zum Kaffeetrinken unterwegs. Aber Haie hatte die Ausrede
als plausibel befunden; schließlich war Sonntag, da unternahm man schon mal einen
Ausflug und kehrte irgendwo zum Kaffee ein. Und da man unweigerlich durch Stedesand
kam, wenn man der B 5 Richtung Süden folgte, hatte er Bredstedt als angebliches
Ausflugsziel gewählt.
»Das ist nett.« Holger Leuthäuser
hatte seine Stimme wieder gefunden.
»Wollt ihr vielleicht kurz rein
kommen?« Man sah ihm an, dass er eigentlich mehr aus Höflichkeit fragte, aber das
störte Haie nicht.
»Gerne«, nickte er und stürmte geradezu
an dem jungen Mann vorbei.
»Hübsch hast du es hier«,
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