Nordfeuer - Kriminalroman
bemerkte
Marlene, die sah, wie unangenehm Holger Leuthäuser der Besuch war. Haie benahm sich
aber auch nicht besonders taktvoll. Neugierig blickte er sich im Raum um, ganz so,
als sei er auf der Suche nach irgendetwas. Dabei hatten sie doch vereinbart, sich
lediglich nach dem Gesundheitszustand des Kranken zu erkundigen. Würde er ihnen
dieselbe Geschichte wie Thamsen erzählen? Stimmten die Versionen überein?
»Möchtet ihr vielleicht was trinken?«
»Ich helfe dir«, bot Marlene an.
In der Küche herrschte das reinste
Chaos. Überall standen benutztes Geschirr und angebrochene Essenspackungen.
»Entschuldigung, aber mit dem Gips
ist das alles nicht so leicht.«
»Hast du denn niemanden, der dir
hilft?« Marlene räumte ein paar Teller zusammen und suchte im Schrank nach sauberen
Tassen oder Gläsern.
»Meine Schwester war da. Aber ewig
konnte die natürlich auch nicht bleiben.«
Sie füllte den Wasserkocher und
stellte ihn an.
»Hast du denn überhaupt mitbekommen,
was an der Schule passiert ist?«
Holger Leuthäuser nickte, während
er umständlich in einer Schublade nach Teelöffeln suchte. Marlene hatte das Gefühl,
er würde absichtlich lange nach dem Besteck kramen.
»Dann hast du auch gehört, dass
Katrin Martensen umgebracht worden ist«, versuchte sie das Gespräch auf den Mord
zu lenken.
Wieder antwortete der Referendar
nur durch eine stumme Geste. Seine Körperhaltung war angespannt, beinahe so, als
läge eine riesige Last auf ihm.
»Kanntest du sie?«
Abrupt schnellte
Holger Leuthäusers Kopf in die Höhe, wütend funkelte er sie an.
»Was soll diese
Befragung? Glaubst du auch, ich bin der Mörder?«
»Natürlich
nicht«, stammelte Marlene. Sie war überrascht und fühlte sich gleichzeitig ertappt.
»T’schuldigung«,
murmelte der angehende Lehrer, als er sah, wie sehr sie sich erschrocken hatte.
»Die Polizei hat auch schon so dämliche Fragen gestellt. Aber was für einen Grund
soll ich, bitteschön, gehabt haben, Katrin umzubringen? Ich habe sie geliebt.«
Er ließ sich
auf einen der Küchenstühle fallen und verbarg sein Gesicht in den Händen.
»Na, ihr braucht aber lange für
ein paar Getränke«, platzte Haie in die Küche. Beim Anblick des weinenden Referendars
zog er fragend seine rechte Augenbraue hoch und blickte zu Marlene.
»Ich glaube, wir kommen reichlich
ungelegen.« Marlene trat neben Holger Leuthäuser und legte ihm kurz ihre Hand auf
die Schulter. »Vielleicht kommen wir lieber ein anderes Mal wieder. Wenn es dir
besser geht.«
Sie schob Haie aus der Küche und
drängte zum Aufbruch.
»Was sollte das denn jetzt?«, fragte
Tom, als sie zum Auto gingen. »Ich denke, wir wollten dem jungen Mann mal ein wenig
auf den Zahn fühlen.«
»Ich weiß«, entgegnete Marlene,
»aber ich denke, er hat nichts damit zu tun.«
»Wie kommst du denn darauf?«
Sie konnte es selbst nicht erklären.
Ursprünglich hatte sie Holger Leuthäuser für verdächtig gehalten. Immerhin war es
ihre Idee gewesen, den jungen Lehrer noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
»Der trauert wirklich um Katrin.«
»Das muss ja noch nichts heißen«,
gab Haie zu bedenken.
»Aber er hat
sie geliebt.« Marlene glaubte dem jungen Mann. Und selten täuschte sie sich, wenn
es um Gefühle ging. Marlene hatte anders als die beiden Freunde bessere Sensoren
für derartige Empfindungen.
»Wollen wir trotzdem jetzt noch
irgendwo einen Kaffee trinken?« Tom hatte Holger Leuthäuser hinter dem Wohnzimmerfenster
ausgemacht. Er beobachtete sie.
Schnell stiegen
sie in den Wagen und einigten sich darauf, zum Ulmenhof in Bredstedt zu fahren.
Wenigstens hatten sie dann nicht gelogen.
Während der
Fahrt diskutierten Haie und Marlene weiter über die Glaubwürdigkeit Holger Leuthäusers.
»Ich trau
dem nicht«, beharrte Haie. »Weißt du, was ich im Badezimmer gefunden habe?«
»Was hast du denn im Bad gewollt«,
fragte Marlene.
»Is’ doch egal. Habe mich ein wenig
umgeschaut und bin dabei zufällig auf eine Packung Gips gestoßen.«
»Du meinst …«, die Freundin war
mehr als überrascht. Sollte sie sich derart getäuscht haben?
»Genau«, triumphierte Haie, »der
hat sich den Verband selbst angelegt und spielt uns nur was vor. Das müssen wir
Thamsen erzählen. Wollte der nicht heute Abend zum Essen vorbei kommen?«
»Vielleicht«, antwortete Marlene
ganz in Gedanken. Sie war sich unsicher, ob Holger Leuthäuser ihnen wirklich solch
ein Theater vorgespielt hatte. Außerdem hatte der Verband recht
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