Nordfeuer - Kriminalroman
euch doch erklärt.«
Thamsen wollte mit seiner Antwort die neugierigen Fragen beenden. »Opa ist halt
krank.«
Anne gab sich mit dieser Antwort
zufrieden, nicht aber sein Sohn.
»Ja, aber was für eine Krankheit?«
»Ach, das ist kompliziert«, seufzte
Magda Thamsen und überlegte, wie man den Kindern am besten erklären konnte, wie
es um ihren Großvater stand.
»Hat er Krebs? Muss er sterben?«
Nun blickte auch Anne angstvoll
auf die Großmutter. Krebs war vor allem bei ihr ein heikles Thema. Im letzten Sommer
war ihre Sportlehrerin an Brustkrebs erkrankt. Für Anne war es einfach unverständlich,
wie ein Mensch, von heute auf morgen einfach sterben konnte. Gut, ein Unfall oder
sogar ein Mord, das konnte sie verstehen, das waren außergewöhnliche Vorfälle. Aber
eine Lehrerin, die ihnen gestern noch Schwimmunterricht gegeben hatte, morgen aber
nicht mehr zur Schule kam und knappe drei Monate später tot war, blieb ihr nach
wie vor unbegreiflich und machte ihr schreckliche Angst. Sollte es dem Großvater
nun ebenfalls so ergehen?
Thamsen wusste um die Ängste seiner
Tochter. Er hatte lange mit Anne über das Thema gesprochen, doch wirklich erklären
oder sie beruhigen hatte er nicht können. Vielleicht war es doch keine so gute Idee,
mit den Kindern ins Krankenhaus zu fahren. Wie würde Anne reagieren, wenn sie den
Großvater an Schläuchen und Apparaturen hängend, halb gelähmt und sabbernd sehen
würde.
Er lehnte sich ein Stück über den
Tisch und tat, als prüfe er das Wetter durch das schmale Küchenfenster.
»Hm, eigentlich scheint die Sonne
viel zu schön. Wollen wir nicht lieber einen Ausflug machen? Mit Sicherheit strengt
es Großvater auch viel zu sehr an, wenn wir ihn alle auf einmal besuchen. Oder was
meinst du, Mama?«
Noch ehe Magda Thamsen antworten
konnte klingelte plötzlich das Telefon.
»Dann fahren wir schön an die Nordsee.
Was haltet ihr davon?«, befragte Thamsen seine Kinder, als seine Mutter zum Telefon
eilte, das im Wohnzimmer stand.
»Können wir denn auch baden?« Anne
war begeistert von seinem Vorschlag und hatte die ernste Unterhaltung über den Großvater
auf einen Schlag vergessen. Nur Timo schaute seinen Vater nach wie vor grübelnd
an.
Ihm war klar, dass es nicht gut
um seinen Opa stand.
»Na, zum Baden ist es wohl …«, er
stoppte mitten im Satz, als er seine Mutter kreidebleich im Türrahmen stehen sah.
»Das war das Krankenhaus«, berichtete
sie mit zittriger Stimme. »Wir sollen sofort kommen.«
»Na, ihr habt wohl gestern ordentlich gefeiert, was?«
Marlene grinste Tom an, der mit
zerknautschtem Gesicht und einem Glas in der Hand in die Küche schlurfte. Er prüfte,
ob das Aspirin sich vollständig aufgelöst hatte und stürzte die Flüssigkeit hinunter.
In seinem Kopf hämmerte es, als
gäbe eine Bongoband ein Konzert, und obwohl er lange geschlafen hatte, fühlte er
sich müde und hundeelend.
Nachdem die Musikgruppe ihren Auftritt
im Speicher beendet hatte, waren sie noch in irgendeine Kaschemme im Hafen eingekehrt.
Haie, der wesentlich trinkfester war, hatte noch mehrere Herrengedecke bestellt.
Tom hatte zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon mehr als genug Alkohol intus gehabt
und sich auf dem Weg vom Speicher in die Kneipe bei dem Freund bereits unterhaken
müssen.
»Wer weiß, wann du das nächste Mal
wieder solch einen Abend genehmigt bekommst«, hatte Haie gescherzt.
»Du hast gut reden, bist ja Single«,
war Tom auf die neckische Bemerkung eingegangen. Dabei wusste er, wie gerne Haie
wieder jemanden an seiner Seite hätte. Die Trennung von Elke war gut vier Jahre
her und mittlerweile hatte Haie den Schmerz darüber verwunden.
Anfang des Jahres war Haie eine
neue Beziehung eingegangen, aber die hatte nicht lange gehalten. Er sei noch nicht
bereit für eine neue Partnerschaft, erklärte er Tom, nachdem er sich von Ursel getrennt
hatte. Tom aber glaubte, sie war einfach nur nicht die Richtige für den Freund.
Denn das Zusammensein mit Ursel hatte Haie schon genossen, das hatten die Freunde
gespürt. Nur die Ansprüche der beiden an eine Partnerschaft waren so unterschiedlich
gewesen, das hatte einfach nicht gepasst.
Es war nun einmal nicht leicht,
jemanden zu finden, der nicht nur eine körperliche Anziehungskraft auf einen ausübte,
sondern gleichzeitig in seinen Ansichten und Lebensauffassungen zumindest einigermaßen
mit einem übereinstimmte.
Marlene und Tom hatten darüber nachgedacht,
eine Anzeige in der Zeitung aufzugeben und eine neue
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