Nordfeuer - Kriminalroman
hier bleiben?«
»Ja, wenn ihr wollt?«
Thamsen blickte zu Anne und Timo.
Seine Tochter nickte begeistert. Sein Sohn hingegen hatte keine große Lust, bei
der Großmutter zu übernachten. Das konnte er deutlich von seinem Gesichtausdruck
ablesen.
»Aber natürlich«, antwortete er
und nickte Timo zu. Für die Kinder war es auch nicht leicht, mit der Situation umzugehen.
Nach dem Abendessen spielten sie
gemeinsam ›Mensch, ärgere dich nicht‹, danach brachte Thamsen die Kinder ins Bett.
Als er aus dem Gästezimmer zurück ins Wohnzimmer kam, hatte seine Mutter ihnen ein
Glas Rotwein eingeschenkt und auf dem Ohrensessel, in dem ansonsten immer nur sein
Vater gesessen hatte, Platz genommen.
Magda Thamsen wartete, bis er sich
hingesetzt hatte. Sie war nervös. Er merkte es an ihrem angespannten Gesichtsausdruck
und daran, wie sie permanent die Hände gegeneinander rieb.
»Den Wein
hat dein Vater immer gerne getrunken.« Sie griff nach dem Glas, wartete, bis er
seines ebenfalls genommen hatte und nickte ihm leicht zu, ehe sie einen Schluck
nahm.
Wer gehässig
war, hätte denken können, sie stießen auf das Ableben seines Vaters an, aber so
war es nicht. Tatsächlich genossen sie beide den edlen Tropfen in Gedenken an Hans
Thamsen, wenngleich die Gedanken der beiden dabei auch unterschiedlich sein mochten.
»Ja, also,
wir sind ja vorhin leider unterbrochen worden«. Sie lächelte bei den Gedanken an
den aufgebrachten Vater, der sich noch einmal fürchterlich aufgeregt hatte, als
Thamsen ihm zu verstehen gegeben hatte, dass er sich leider nicht weiter mit ihm
über die Befindlichkeiten seiner Tochter unterhalten könne. Er könne entweder die
Entschuldigung so akzeptieren oder es sein lassen.
Das grenze an Körperverletzung,
diese seelischen Grausamkeiten. Was er glaube, was das bei seinem Kind auslöse.
Das war Thamsen zumindest heute
schnurzegal. Demonstrativ hatte er mit seinem Dienstausweis herumgewedelt, um den
anderen daran zu erinnern, mit wem er es hier zu tun hatte.
»Entschuldigen Sie uns bitte, aber
ich habe einen Mordfall aufzuklären.«
Mit diesen Worten war er mit seiner
Mutter und den Kindern im Schlepptau von dannen gezogen.
»Also, was ich dir heute Nachmittag
eigentlich sagen wollte.« Sie räusperte sich. »Dir eigentlich längst schon hätte
sagen sollen. Ja, also.«
Thamsen wartete gespannt auf das,
was nun kommen würde. Warum war sein Vater Zeit seines Lebens so abweisend zu ihm
gewesen? Hatte ihn nicht geliebt, nie als Sohn akzeptiert?
Magda Thamsen holte tief Luft.
»Dirk, ich bin nicht deine Mutter.«
Was war das für ein Geräusch? Jörn Hinrichsen schaltete eilig das Fernsehgerät
aus und horchte in die Dunkelheit. Hatten seine Eltern mitbekommen, dass er heimlich
so spät fernsah?
»Star Wars« lief im zweiten Programm.
Er hatte es durch Zufall in der Zeitschrift gelesen. Alle seine Freunde hatten den
Film bereits im Kino gesehen, nur er hatte nicht die Erlaubnis seiner Eltern bekommen,
mit ins Kino zu gehen.
Genauso wenig wie sie ihm jetzt
erlaubt hatten, den Film, der bis spät in die Nacht lief, im Fernsehen anzuschauen.
»Du musst morgen früh raus. Ist
doch Schule«, hatte seine Mutter nur gesagt. Damit war die Sache für sie erledigt
gewesen. Da hatten auch seine Versprechungen, trotzdem total wach in der Schule
zu sein und so weiter, nichts geholfen.
Dennoch hatte er den Film natürlich
sehen wollen. Seine Freunde durften unter Garantie auch. Er wollte endlich mitreden
können.
Jörn war wie gewohnt zu Bett gegangen.
Seine Eltern hatten ihm eine gute Nacht gewünscht und er hatte einfach das Schlüsselloch
mit seinem T-Shirt verhängt, den Ton an seinem Fernsehgerät ganz leise gedreht und
den Film angeschaut.
Jetzt aber hatte er ein leises Knacken
gehört und hatte Angst, seine Eltern könnten das Flimmern des Fernsehers gesehen
oder etwas gehört haben. Er befürchtete eine gewaltige Standpauke.
Da, es knackte wieder, aber das
Geräusch kam nicht aus dem Flur. Er spitzte die Ohren.
»Krnk.«
Er sprang auf
und lief ans Fenster. Seine Augen benötigten einen Moment, ehe sie sich an die Dunkelheit
dort draußen gewöhnt hatten. Aber dann sah er ganz deutlich eine Gestalt, die um
das Nachbarhaus schlich.
Irgendetwas hatte der Mann in der
Hand. Jörn jedenfalls nahm an, dass es sich bei der Person um einen Mann handelte,
denn er war sehr groß und seine Bewegungen wirkten eher männlich.
Sieht aus wie ein Kanister, urteilte
der Zwölfjährige. Das muss
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