Nordfeuer - Kriminalroman
der Brandstifter sein, schoss es ihm augenblicklich durch
den Kopf und er trat erschrocken einen Schritt vom Fenster zurück.
Was sollte er nur tun? Fieberhaft
überlegte Jörn, ob er seine Eltern wecken oder lieber gleich die Polizei rufen sollte.
Ihm blieb nicht viel Zeit.
Auf Zehenspitzen schlich er im Dunkeln
zur Tür, dann durch den Flur zur Treppe und hinunter ins Wohnzimmer.
Geduckt bewegte er sich zum Telefon,
das neben dem Sofa auf einem kleinen Beistelltisch stand. Er nahm den Hörer. Das
Freizeichen klang ungewöhnlich laut, daher hielt er die Muschel zu, bis er gewählt
hatte.
»Ja, ich wollte melden, um das Haus
unserer Nachbarn schleicht der Feuerteufel«, flüsterte er, nachdem sich am anderen
Ende eine Frauenstimme gemeldet hatte.
»Und wo genau ist das Haus eurer
Nachbarn?«, fragte die Dame in der Notrufzentrale.
»Dorfstraße 23a in Risum.«
Haie wachte plötzlich auf. Doch diesmal war es weder die Sirene noch
eine Vorahnung, die ihn geweckt hatte. Er musste schlichtweg nur dringend auf die
Toilette.
Das kam bestimmt
von dem Tee, den er literweise heute Abend bei Tom und Marlene getrunken hatte.
Natürlich war er, nachdem er sich von Thamsen verabschiedet hatte, nicht direkt
nach Hause gefahren, sondern zu den beiden Freunden, um ihnen von den Neuigkeiten
über Jan Schmidt und Heiko Stein zu berichten.
»Bin ja mal
gespannt, was der Heiko zu erzählen hat«, hatte er im Anschluss an die Informationen
angefügt.
»Wenn er es nicht selbst war, muss
er den Täter auf jeden Fall gesehen haben.«
»Und wie geht es Dirk?« hatte Marlene
wissen wollen. Doch darauf hatte er keine Antwort gehabt. Der Kommissar hatte sich
nichts anmerken lassen.
»Du weißt ja, in solchen Dingen
ist er immer sehr zurückhaltend.«
Haie tastete sich im Dunkeln den
Flur entlang, bis er den Lichtschalter vom Badezimmer unter seinen Fingern spürte.
Das grelle Licht blendete ihn und
er kniff eilig die Augenlider zusammen, als er vors Klo trat, um sich zu erleichtern.
Er lauschte dem Plätschern in der Schüssel bis zum letzten Tropfen, den er wie gewohnt
abschüttelte, dessen stiller Fall aber durch ein anderes Geräusch gestört wurde.
Meine Güte, dachte Haie, was ist
denn um diese Uhrzeit für ein Verkehr auf der Dorfstraße. Eilig steckte er sein
Glied in seine Pyjamahose und schlappte ins Wohnzimmer hinüber, von wo aus er durchs
Fenster auf die Straße blicken konnte.
Doch dort
war es mittlerweile wieder ruhig geworden. Merkwürdig, dachte er und lehnte sich
noch ein Stück weiter vor, um sein Blickfeld zu erweitern und stieß dabei an einen
Kaktus auf der Fensterbank, der ihn mit seinen mächtigen Stacheln in den Hals piekste.
»Scheiß Ding«, schimpfte er und
schob den Topf zur Seite. Der stachelige Freund war ein Geschenk von Elke zum Einzug
gewesen.
»Der geht dir nicht so schnell ein«,
hatte sie gesagt und ihn an seinen nicht vorhandenen grünen Daumen erinnert.
Als er sich nun noch ein Stück weiter
vorbeugte, sah er plötzlich mehrere fremde Wagen auf der Auffahrt zum Nachbarhaus
stehen.
»Was ist denn da los?«, murmelte
er. »Ich denke, die wollten in Urlaub fahren.«
Dirk Thamsen saß wie vom Blitz getroffen auf dem Sofa und starrte seine
Mutter an. Er konnte nicht glauben, was sie soeben gesagt hatte.
Magda Thamsen
sollte nicht seine Mutter sein? Zumindest nicht seine leibliche? Er schüttelte den
Kopf.
»Wie meinst du das?«
Sie räusperte sich.
»Ich hätte es dir schon viel früher
sagen sollen«, seufzte sie. »Viel früher.«
Aber sie habe die Tatsache selbst
verdrängt. Für sie war er wie ein eigener Sohn, auch wenn sie ihn nicht zur Welt
gebracht hatte.
Auf Thamsens Stirn bildeten sich
tiefe Falten. Was sollte das genau heißen? War er adoptiert oder gab es eine Leihmutter?
Aber so etwas war in Deutschland doch illegal. Sein Vater hätte sich auf solch eine
Sache nie eingelassen. Er, der immer so korrekt und vor allem stolz darauf war.
Eine Adoption kam da schon eher
in Betracht. Vielleicht konnte seine Mutter keine Kinder bekommen? Fragend blickte
er die Frau an, die ihm plötzlich fremd erschien.
Magda Thamsen fiel es nicht leicht,
ihm endlich die Wahrheit zu sagen. Für sie war und blieb er ihr Sohn. Sie hatte
ihn großgezogen, sie hatte ihn getröstet, die Nächte an seinem Bett gewacht, wenn
er krank gewesen war. Seinen ersten Liebeskummer miterlebt, die erste Fahrt mit
seinem Führerschein gemacht. War immer für ihn da gewesen – und das würde sich
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