Nordfeuer - Kriminalroman
seiner
Frau geblieben war. Ein Teil von ihr. Wäre er an Stelle seines Vaters gewesen, hätte
er das Kind wahrscheinlich mit Liebe nur so überschüttet. Aber Hans Thamsen hatte
sich von seinem Sohn abgewandt. Ihn völlig links liegenlassen. Als gäbe es ihn gar
nicht. Zum Glück hatte seine Mutter sich seiner angenommen. Für ihn würde sie seine
Mutter bleiben, das stand für ihn plötzlich fest. Dennoch interessierte er sich
für die Frau, die ihn zur Welt gebracht hatte und er würde seine Mutter nach der
Beerdigung bitten, ihm mehr über sie zu erzählen.
Er weckte die Kinder und machte
Frühstück. Großen Appetit verspürte jedoch keiner von ihnen. Schweigend saßen sie
am Küchentisch und kauten lustlos auf ihren Broten.
Anne und Timo wären wahrscheinlich
lieber zur Schule gegangen, und er hatte auch kurz darüber nachgedacht, ob sie die
Beerdigung verkraften würden. Letztendlich war er aber zu dem Schluss gekommen,
es sei besser, wenn die beiden von ihrem Großvater Abschied nehmen konnten.
Nach dem Frühstück fuhren sie zu
seiner Mutter. Magda Thamsen wartete bereits auf sie. Er konnte sehen, wie sich
die Gardine hinter dem Wohnzimmerfenster bewegte, als er den Wagen vor dem Haus
parkte. Trotzdem stieg er aus und lief zur Haustür hinauf.
»Bist du fertig?«
Sie nickte.
Während der Fahrt zur Apostelkirche
sprachen sie kaum. Thamsen fragte lediglich, ob mit dem Bestatter alles soweit geregelt
sei, und seine Mutter bejahte das. Ansonsten war nur das Hin-und Herbewegen der
Scheibenwischer zu hören. Selbst die Kinder waren stumm.
Zur Trauerfeier kamen wenige Gäste.
Lediglich ein paar Nachbarn, zwei alte Kollegen und Hans Thamsens Schwester Margot
mit ihrem Mann. Sein Vater war nicht besonders beliebt gewesen, das zeigte sich
nun bei seinem letzten Gang recht deutlich.
Dirk Thamsen konnte das ein wenig
besser verstehen, denn durch den Tod seiner Frau war sein Vater letztendlich zu
dem geworden, was und wie er war. Mit sich und der Welt hadernd, griesgrämig, und
einsam.
Die Orgelmusik hatte bereits eingesetzt, da betraten Tom, Haie und
Marlene die Kirche. Leise schlichen sie durch den Gang. Toms Wagen war plötzlich
auf dem alten Deich stehen geblieben und nicht wieder angesprungen. Sie hatten das
Auto stehen lassen und ein Taxi rufen müssen. Doch das hatte alles viel Zeit gekostet
und nur mit Mühe und Not hatten sie es einigermaßen rechtzeitig zur Trauerfeier
geschafft.
Dirk Thamsen saß mit seiner Mutter
und den Kindern in der ersten Reihe und bekam nicht mit, wie die drei Freunde sich
in eine der hintersten Bänke setzten.
Schon trat der Pastor vor die Trauergesellschaft
und begann die Feier mit einem Gebet. Anschließend hielt er eine kurze Rede. Da
es niemanden gab, der ein paar persönliche Worte sprechen wollte, war der Gottesdienst
schnell zu Ende, und schon erhoben sich die Gäste. Anne klammerte sich fest an Dirks
Hand, während sie hinter dem Sarg herlaufend die Kirche verließen. Anscheinend machte
ihr die Vorstellung des toten Opas in der hölzernen Kiste doch Angst.
Der Weg zur
Grabstelle kam ihm endlos vor. Schweigend schritten sie über die Kieswege. Seine
Mutter hatte sich bei ihm untergehakt und er spürte, wie sie besonders heute mehr
verband, als nur der Verlust des Vaters und Mannes. Aus dem Augenwinkel sah er die
drei Freunde und freute sich über ihre Anwesenheit.
Die Ansprache am Grab fiel kurz
aus. Da es immer noch regnete war er froh darüber und letztendlich war auch alles
gesagt. Als er mit den Kindern an die offene Grabstelle trat und sie jeder eine
Lilie auf den Sarg warfen, fühlte er sich innerlich leer. Irgendwie empfand er nichts
für diesen Mann. Doch das war nicht die Schuld seiner Mutter, weil sie ihm vorher
nichts erzählt hatte, sondern einzig und allein die von Hans Thamsen.
Er drehte sich um und eilte vom
Friedhof.
»Warten wir nicht auf Oma?«, wollte
Anne wissen, als sie im Auto saßen und er den Motor startete. Er schüttelte den
Kopf. »Tante Margot ist doch da.«
Er fuhr nicht wie vereinbart zum
Haus seiner Eltern, wo seine Mutter für die Gäste Kaffee und Kuchen vorbereitet
hatte und man in privater Runde noch einmal Abschied nehmen wollte. Er wusste, er
würde sie damit verletzen, aber er konnte einfach nicht.
»Wo fahren wir denn hin?«, fragte
Timo, als er bemerkte, dass sein Vater nicht den Weg zu den Großeltern eingeschlagen
hatte.
Thamsen zuckte mit den Schultern.
28.
»Ich habe heute Morgen bei Heikos Mutter
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