Nordmord
waren es nicht. Eine Dreizimmerwohnung in Deezbüll,
eine in Bosbüll und eine mit vier Zimmern zwei Straßen weiter von seiner
jetzigen gelegen. Gleich morgen früh würde er sich darum kümmern.
Aus dem Kühlschrank holte er sich eine Bierflasche und machte
es sich mit dem Tagebuch auf der Couch gemütlich. Er hatte schon mehrere
Einträge gelesen und war mittlerweile bei Mitte April angelangt. Sein Kollege
hatte wohl recht damit gehabt, dass das Tagebuch keine interessanten Hinweise
enthielt, obwohl ihn das wunderte. Schließlich konnte nicht ausgeschlossen
werden, dass der Täter im persönlichen Umfeld der Ermordeten zu finden war.
Inzwischen war jedoch nicht sonderlich viel vorgefallen, wie er den bisherigen
Aufzeichnungen, die er manchmal nur mit viel Mühe und Fantasie entziffern
konnte, entnommen hatte. Die Arbeit in der Klinik war nach wie vor sehr
anstrengend. Professor Voronin verhielt sich laut Heike äußerst merkwürdig und
wurde von ihr als sehr unsympathisch beschrieben. Marlene hatte immer weniger
Zeit und deswegen hatte sie sich mehrere Male mit Malte getroffen, ohne ihrer
Freundin jedoch davon zu erzählen. Warum, wusste sie selbst nicht und sie hatte
auch das Gefühl, dass ihre Freundschaft in den letzten Wochen ein wenig an
Intensität verloren hatte. Die Zeit mit Malte hatte sie genossen. Sie waren
tanzen und ins Kino gegangen. Wirklich gelaufen war allerdings zwischen ihnen
bisher noch nichts. Heike betonte immer wieder, dass er eigentlich nicht ihr
Typ war. Ansonsten war jedoch nichts Nennenswertes passiert, trotzdem schlug er
gespannt das Tagebuch auf. Heike Andresen war durch die Aufzeichnungen für ihn
wieder zu einem lebendigen Wesen geworden. Mal lustig und voller ironischer
Gedanken, ein anderes Mal nachdenklich und hinterfragend. Und es war nicht nur
berufliche Neugierde, die ihn antrieb, weiterzulesen.
22.04.1996
Mutti hat mich heute
angerufen. Es geht ihr schlecht, wahrscheinlich muss sie wieder in die Klinik.
Ausgerechnet jetzt, wo ich noch in der Probezeit bin und keinen Urlaub kriege.
Der Voronin lässt mich doch nicht weg. Ich verstehe das auch gar nicht, wo es
ihr doch Ostern recht gut ging. Tollen Ausflug nach Blankenese haben wir
gemacht, aber vielleicht war das auch zu viel für sie. Ich traue mich auch gar
nicht, den Voronin zu fragen. In der letzten Zeit war er ja total unfreundlich.
Immer wenn man in sein Büro kommt, benimmt er sich, als ob man ihn stören
würde. Dabei frage ich mich, was er denn außer seiner morgendlichen Blitzvisite
so den ganzen Tag treibt. Aber wenn es nicht besser wird mit Mutti, werde ich
wohl fragen müssen. Auf keinen Fall lasse ich sie die ganze Zeit allein in der
Klinik und Gesa kann auch nicht immer einspringen, sie hat ja auch die Kinder.
Also, mal abwarten und Daumen drücken. Was anderes bleibt mir nicht übrig.
Jetzt kann ich selbst mal versuchen, die Geduld aufzubringen, von der ich dem
kleinen Jungen auf Station immer vorschwärme. Andreas heißt er übrigens.
Momentan geht es ihm ein klein wenig besser, vielleicht darf er nächste Woche
raus und braucht dann nur noch zur ambulanten Dialyse. Oder er hat wirklich
Glück und es findet sich ein Spender. Bei Carsten Schmidt, der einige Wochen
bei uns auf Station lag, hat es recht schnell geklappt. Habe ich in Hamburg nie
erlebt, war wirklich großes Glück. Vielleicht trifft es Andreas ja auch. Und
meine Mutter, das wäre zu schön!
Thamsen kratzte sich am Kopf und überlegte,
woher er den Namen Carsten Schmidt kannte. Irgendwo hatte er ihn doch schon
einmal gelesen. Er erinnerte sich an den Kalender. Waren da nicht noch mehr
Namen aufgezählt gewesen? Kurz entschlossen sprang er auf und fuhr noch einmal
ins Büro.
In dem Pappkarton, der inzwischen neben seinem Schreibtisch
stand, lag auch der kleine, schwarze Kalender der Ermordeten. Eilig schlug er
ihn auf, blätterte fahrig zwischen den Seiten, bis er die Skizze mit den Namen
und den Pfeilen gefunden hatte.
Von Carsten Schmidt ging ein Pfeil zu Serghei Oprea. Was
konnte das bedeuten?
Er überlegte, ob er ins Krankenhaus gehen und einfach die
Schwestern befragen sollte. Aber das konnte wieder Ärger geben, schließlich
durften sie nicht über die Krankheiten der Patienten plaudern. Und bis er einen
Beschluss hatte, das konnte dauern, wenn er überhaupt einen bekam. Manchmal
hatte er das Gefühl, dass man in Deutschland eher gegen die Aufklärung eines
Verbrechens
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