Nordmord
hatte. Die Polizei hatte bis jetzt nicht
mal einen Verdächtigen. Ihr fiel der Mann vom Friedhof wieder ein. Doch als sie
Gesa nach ihm fragte, zuckte diese nur mit den Schultern.
»Im Trenchcoat? Habe ich gar nicht gesehen.«
Nach dem Kaffee verabschiedeten sie sich.
»Wäre schön, wenn wir in Kontakt blieben«, sagte Heikes
Mutter zum Abschied und umarmte sie dabei so fest, dass Marlene das Gefühl
hatte, beinahe zu ersticken. Fast hatte es den Anschein, als befürchtete die
Mutter, mit ihr auch einen Teil der Erinnerungen an ihre Tochter zu verlieren.
Schnell versicherte sie, dass sie sich regelmäßig melden würde.
»Möchtest du noch bei deinen Eltern vorbeischauen, ehe wir
uns auf den Weg machen?«
Sie schüttelte ihren Kopf. Sie wollte nur nach Hause. Und das
war mittlerweile nun einmal in Risum-Lindholm.
Haie hatte es
sich auf dem Sofa bequem gemacht und den Fernseher eingeschaltet. Es gab einen
›Tatort‹, zwar im dritten Programm, eine Wiederholung, aber er kannte den Krimi
mit dem Titel ›Animals‹ noch nicht. Als die Kommissare jedoch zu dem Fundort
einer Leiche gerufen wurden, schaltete er den Apparat aus. Von Mord und toten
Frauen hatte er momentan genug. Das musste er sich nicht auch noch als Fernsehfilm
ansehen.
Er griff nach einem Buch und schlug es auf. Es war auf
Plattdeutsch geschrieben und enthielt kleine Geschichten zum Schmunzeln,
sogenannte ›Döntjes‹. Er las gerade die Geschichte über einen Kurgast bei
Thamsens in Bongsiel, als das Telefon klingelte.
Es war Elke. Ob er kommen könne?
»Wieso, ist was passiert?«
Sie würde sich fürchten, hätte draußen Geräusche gehört und
einen Schatten am Fenster gesehen. Er wusste, dass das wahrscheinlich alles
erfunden war. Sie wollte ihn nur sehen. Wie sollte er ihr nur jemals
begreiflich machen, dass es aus war zwischen ihnen?
»Weißt du, mir gehts nicht gut. Magenschmerzen.«
»Und wenn der mir etwas antut?«
Er fand es unfair, ihm einen erfundenen Mörder und Todesangst
vorzuspielen. Und er war es leid. Diesmal würde sie ihn nicht herumkriegen.
»Dann musst du wohl die Polizei anrufen.«
Er legte auf. Natürlich war es schwer für sie, aber
irgendwann musste sie nun einmal akzeptieren, dass er nicht mehr für ihr Leben
zuständig war. Er würde nicht zu ihr zurückkehren. Das musste sie begreifen.
Er schaltete wieder das Fernsehen an. Zum Weiterlesen fand er
jetzt sowieso nicht die Ruhe. Sein Finger wirbelte über die Fernbedienung, bis
ein Bericht auf einem der vielen Privatsender seine Aufmerksamkeit erregte. Ein
junger Reporter berichtete über den Menschenhandel in Osteuropa. Selbst
Waisenhäuser seien beteiligt. Haie fragte sich, was wohl in den Köpfen der
Kinder vor sich ging, die von ihren Eltern verkauft wurden.
Thamsen saß am Abendbrottisch und ließ sich von Anne die
Neuigkeiten aus der Schule berichten. Sie hatte eine Eins im Diktat geschrieben
und war mächtig stolz. Er hatte das Gefühl, sie blühte förmlich auf. Nach ihrer
Mutter fragte sie fast gar nicht.
»So, Anne, Zeit zum Zähneputzen!«
Seine Mutter scheuchte das Mädchen ins Bad.
»Sie war heute hier.«
»Wer?«
Eigentlich hätte er sich die Frage sparen können, denn er
wusste ganz genau, wen seine Mutter meinte. Sie wollte die Kinder mitnehmen,
habe mit der Polizei gedroht. Total betrunken sei sie gewesen. Habe pausenlos
gegen die Haustür getrommelt. Anne hatte angefangen zu weinen und Timo hatte
geschrieen, sie solle sie alle in Ruhe lassen.
»Was die Nachbarn wohl denken? Wie soll es denn weitergehen?«
Er hatte sich ans Jugendamt
gewandt, dort wurde der Fall gerade bearbeitet. Eigentlich musste das
Schreiben, dass sie sich den Kindern vorläufig nicht nähern durfte, jeden Tag
eintreffen. Jedenfalls hatte ihm das die Dame am Telefon gesagt. Man würde nur
noch auf einen Beschluss vom Gericht warten, denn dass seine Exfrau momentan
nicht in der Lage sei, sich um das Wohl der Kinder zu kümmern, habe man bereits
festgestellt.
»Wenn sie dann noch einmal hierher kommt, rufst du meine
Kollegen von der Schutzpolizei!«
Nach der Gute-Nacht-Geschichte für Anne war er nach Hause
gefahren. Er musste sich schnellstens eine Lösung überlegen. So konnte es auf
Dauer nicht bleiben. Im Altpapier suchte er nach der Zeitung vom Vortag.
Im hinteren Teil befanden sich einige Wohnungsanzeigen. Er
setzte sich an den Küchentisch und strich die Anzeigen an, welche er
interessant fand. Viele
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