Nordmord
jedes Mal wieder neue Hoffnungen,
wenn du mit ihr ausgehst.«
Haie blickte auf die Uhr und nickte. Er musste zur Arbeit.
»Was habt ihr heute Abend vor? Wollt ihr zum Essen kommen?«
Sie nahmen seine Einladung bereitwillig an. Sie waren gerne
mit ihm zusammen, außerdem liebten sie seine vorzügliche Küche.
Nachdem Haie gegangen war, tätigte Tom einige Anrufe.
Er musste alles für seine
Arbeit bei ›Motorola‹ in der nächsten Woche vorbereiten. Marlene räumte ein
wenig auf. Dabei schweiften ihre Gedanken wieder zu der Beerdigung. Heikes
Mutter hatte sie gebeten, die Wohnungsauflösung zu übernehmen. Noch waren die
Räume versiegelt, aber bei dem Termin heute konnte sie klären, wann die Polizei
eine Freigabe plante. Langsam mussten sie ja auch alles durchsucht haben. So
groß war das Apartment schließlich nicht. Es würde schwer werden, Heikes Sachen
einfach wegzuräumen, die letzten persönlichen Gegenstände in Pappkartons zu
verpacken. Viele Erinnerungen würden lebendig werden. Sie hatte ein wenig Angst
davor, wusste nicht, ob sie die Kraft dazu haben würde. Das Krankenhaus hatte
auch bei Heikes Mutter angerufen. Marlene hatte versprochen, die Sachen, die
man aus Heikes Spind zusammengepackt hatte, abzuholen. Das wollte sie mit Tom
gemeinsam vor dem Termin bei Kommissar Thamsen erledigen.
Sie schminkte sich sorgfältig und bürstete ihr langes,
blondes Haar. Im Schlafzimmer suchte sie im Kleiderschrank nach etwas Passendem
zum Anziehen und warf unschlüssig ein braunes Kostüm, eine blaue Jeans und
einen schwarzen Cordrock aufs Bett, wählte schließlich doch eine graue
Stoffhose und eine dunkle Bluse dazu.
Sie parkten direkt vor der Polizeidienststelle und gingen
zunächst hinüber zum Krankenhaus.
Das fünfte Obergeschoss erklommen sie zu Fuß. Tom hatte eine
starke Abneigung gegen Fahrstühle. Völlig außer Atem erreichten sie Heikes
ehemalige Station. Die gläserne Flügeltür stand offen. Ein Geruch von Urin,
Schweiß und Desinfektionsmitteln drang in ihre Nasen. Es roch nach Tod.
Sie gingen den Gang entlang. Einige Zimmertüren waren
geöffnet, vor einer blieben sie kurz stehen und blickten hinein. In der Mitte
des Raumes stand ein Bett, in dem ein kleines, blasses Mädchen lag, umgeben von
einer Menge Geräten und Monitoren. Eine Schwester wechselte gerade den Tropf.
Mit der Hand berührte sie leicht das Gesicht des Mädchens, ehe sie das Zimmer
verließ.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Mein Name ist Marlene Schumann. Ich hatte angerufen wegen
der Sachen von Heike Andresen.«
Auf einem Tisch im Schwesternzimmer stand ein mittelgroßer
Pappkarton. Die Schwester deutete darauf und seufzte. Sie war immer noch ganz
fassungslos und konnte den Mord an Heike nicht verstehen.
»So eine nette Ärztin.«
Marlene kämpfte mit den Tränen. Tom griff nach dem Karton.
»Vielen Dank!«, sagte er, ehe er sich verabschiedete und
Marlene aus dem Raum schob.
Schweigend gingen sie nebeneinander den Gang entlang. Ihre
Schritte hallten leise wider. In der Tür zum Treppenhaus stießen sie mit einem
Mann im weißen Kittel zusammen. Tom entschuldigte sich, doch der Mann ging
einfach weiter. Entweder war er sehr unfreundlich oder mit seinen Gedanken
völlig woanders. Er hoffte, dass die zweite Möglichkeit zutraf, denn ansonsten
hatten die Patienten nichts zu lachen.
Draußen holten sie erst einmal tief Luft. Marlene warf einen
flüchtigen Blick in den Karton. Wie wenig von einem Menschen doch übrig blieb.
Natürlich waren es nur Dinge, die Heike an ihrem Arbeitsplatz benötigt hatte,
aber trotzdem kam es ihr wenig vor. Es stimmte sie traurig, dass jeder so
austauschbar erschien. Eine Ärztin war gestorben. Sicherlich, man war
betroffen, aber die Welt drehte sich nun einmal weiter. Eine neue Ärztin würde
eingestellt werden. Die Bewerber standen bestimmt schon Schlange.
Vom Krankenhaus gingen sie direkt hinüber zur
Polizeidienststelle. Kommissar Thamsen wartete bereits.
»Frau Schumann, schön, dass Sie da sind.«
Er reichte ihr zur Begrüßung die Hand und spürte sofort ihre
Anspannung. Tom erklärte, wo sie gerade herkamen und der Kommissar nickte. Er
hatte den Spind nach seiner Befragung selbst inspiziert. Kleidung, Deo, ein
paar Bücher. Das war alles, was er in dem Schrank vorgefunden hatte. Nichts,
was wirklich helfen konnte, den Mord aufzuklären. Ihm fiel das Foto des kleinen
Jungen wieder ein.
»Kennen Sie diesen Jungen?«
Sie hatte das Foto
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