Nordmord
Vielleicht ein
Angestellter aus dem Krankenhaus. Es gab schließlich mehr als einen
Krankenpfleger Malte in diesem Klinikum.
»Heike ist da anscheinend auf etwas gestoßen«, überlegte er
laut.
Sie schaute ihn fragend an.
»Was meinst du?«
»Organhandel.«
Er sprach den Gedanken aus, der ihr ebenfalls bereits im Kopf
herumgegeistert war, den sie aber verdrängt hatte. Organhandel – so etwas
Scheußliches gab es doch hier nicht. Wo sollten die Organe denn überhaupt
herkommen und was hatte Heike damit zu tun?
Kommissar Thamsen betrat das Büro des
Professors, ohne anzuklopfen. Voronin blickte überrascht auf.
»Was fällt Ihnen ein?«, fragte er, als Thamsen ihm die Akte,
in welcher er gerade gelesen hatte, aus den Händen nahm und zuklappte.
Aus der Innentasche seiner Jacke zog er den Beschluss und
legte ihn seinem Gegenüber vor. Ohne dessen Reaktion abzuwarten, drehte er sich
um und winkte seine Kollegen in den Raum. Die begannen sofort, die Regale und
Schreibtischschubladen nach entsprechenden Unterlagen abzusuchen.
»Das wird Konsequenzen haben«, drohte Voronin.
Er nickte. Fragte sich nur, für wen. Er war sich sicher, dass
sie in den Unterlagen entsprechende Hinweise finden würden. Das Motiv für den
Mord an Heike Andresen war seiner Meinung nach in ihrem beruflichen Umfeld,
also in der Klinik, zu suchen. Warum hatte sie sonst ihrer Freundin diese Mails
zu treuen Händen geschickt? Hatte sie sich vielleicht sogar bedroht gefühlt?
Durchaus möglich. Mit dem Professor war bestimmt nicht gut Kirschen essen. Der
kochte geradezu vor Wut. Mit zornigen Augen funkelte er Thamsen an.
Nach etwas mehr als einer Stunde waren sie fertig. Fünf große
Pappkartons füllten die Akten und sonstigen Gegenstände aus dem Büro des
Professors, welche die Polizei beschlagnahmte. Zwei Kollegen hatte er ins
Archiv geschickt, er rechnete noch einmal mit der gleichen Menge an Unterlagen.
Zum Schluss zog Thamsen den Netzstecker des Computers und klemmte sich das
Gerät unter seinen Arm. Bevor er den Raum verließ, drehte er sich ein letztes
Mal um. Voronin stand am Fenster und blickte wortlos hinaus.
»Ich möchte Sie in einer Stunde auf dem Revier sehen.«
33
Irina hatte Fieber und Schmerzen. Sie konnte das
Klappern ihrer Zähne nicht unter Kontrolle halten, sie fror entsetzlich, trotz
der zweiten Wolldecke, welche die Frau ihr gebracht hatte. Es brannte, pochte,
stach und klopfte an sämtlichen Stellen ihres Körpers. Er schien nur noch aus
Schmerz zu bestehen.
Den Jungen hatten sie heute Morgen abgeholt. Er hatte
geschrien und sich heftig gewehrt, doch die Männer waren stärker gewesen.
Zunächst hatten sie ihn geschlagen, bis er bewusstlos gewesen war, und
anschließend in eine Decke gehüllt aus dem Raum getragen. Sie hatte sich
gefragt, ob sie ihn je wiedersehen würde.
Sie schloss die Augen und sah das Bild ihrer Mutter vor sich.
»Mama?«
Wo war sie? Und wieso hatte sie zugelassen, dass man ihr so
etwas antat?
Die Tür wurde geöffnet, ein Mann betrat den Raum. Irina
erkannte ihn. Es war der Mann im weißen Kittel. Er beugte sich zu ihr hinab.
Wie durch eine dicke Nebelwand nahm sie ihn wahr. Seine Lippen bewegten sich,
aber sie hörte keinen Ton. Hilflos blickte sie ihn an. Aus einer braunen
Ledertasche holte er eine Spritze, zog sie langsam auf. Panik nahm Besitz von
ihr. Sie wollte schreien, doch aus ihrem Mund kam nur ein leises Krächzen. Ihr
fehlte die Kraft, sich zu wehren. Voller Angst sah sie, wie er ihren Arm nahm,
spürte den Stich. Sie schloss die Augen und fühlte eine Hand auf ihrem Haar.
Sie wollte nur noch sterben, nicht mehr da sein, sich in Luft auflösen.
Wieder sah sie das Bild ihrer Mutter. Ihr Mund hatte sich zu
einem Grinsen verzogen, ein Goldzahn blitzte in der unteren Zahnreihe.
Plötzlich schoben sich andere undeutliche Bilder vor das Gesicht der Mutter.
Sie lag wieder auf dem Metalltisch, drehte ihren Kopf zur
Seite und schaute in das Gesicht eines Mädchens. Die Augen waren geschlossen,
es schlief. Neben dem Mädchen stand der Mann im Kittel. In der Hand hielt er
einen silbernen Gegenstand. Jetzt kam er auf Irina zu. Sie erkannte, dass der
Gegenstand eine Art Messer war. Langsam senkte sich seine Hand auf ihren
Körper. Sie spürte kaltes Metall auf der Haut. Erneut sah sie etwas blitzen. Es
war der Goldzahn, diesmal im Mund eines der Männer, welche sie geholt hatten.
Jetzt hob er sie hoch und trug sie aus dem
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