Nordmord
hatte der Professor ihnen
wahrscheinlich das Leben gerettet, zum anderen waren sie selbst an einer
strafbaren Handlung beteiligt gewesen. Schließlich war der Kauf von Organen
illegal, trotzdem gab es einen immer stärker werdenden Handel. Das hing mit den
immer geringer werdenden Risiken zusammen. Außerdem führte die extreme Armut,
vor allem bei den Menschen aus den osteuropäischen Ländern, dazu, dass die
Geschäfte mit Transplantaten immer abscheulichere Ausmaße annahmen. So flogen
einige inzwischen sogar schon bis nach Indien, um sich dort zum Beispiel eine
Niere zu kaufen.
Auf der anderen Seite stellte sich natürlich auch die Frage,
was man selbst in einer solchen Situation tun würde? Was, wenn Marlenes Herz
morgen versagte und sie ein Spenderorgan benötigte, um weiterzuleben? Die
Wartelisten waren lang, viele Patienten überlebten die Zeit nicht, bis ein
passendes Transplantat bereitstand. Wie würde er reagieren, wenn man ihm ein
illegales Herz zum Kauf anböte?
Marlene blieb plötzlich stehen und bückte sich.
Sie hatte unter den angeschwemmten Gräsern und sonstigem Treibgut tatsächlich
einen Bernstein entdeckt. Der klare Stein aus fossilem Harz leuchtete geradezu
zwischen ihren Fingern. Im Inneren war ein Insekt eingeschlossen. Wie lange es
wohl in diesem Gefängnis schon eingesperrt war? Sie steckte den Fund in ihre
Manteltasche.
»Wollen wir zurückgehen?«
Sie wurde unruhig. Warum meldete sich Kommissar Thamsen
nicht?
Wie vereinbart, klopfte der Kollege kurze Zeit
später an die Tür.
»Entschuldigung, Herr Johannsen? Sie werden am Telefon
verlangt.«
Der Anwalt entschuldigte sich, bat um eine kurze
Unterbrechung und folgte dem Polizisten.
»So, Voronin, und wir reden jetzt mal Klartext. Uns ist
bekannt, dass Sie spielsüchtig sind und finanzielle Probleme haben. Wir gehen
davon aus, dass Sie der Kopf dieses illegalen Organhändlerrings sind. Sollte
das nicht der Fall sein, machen Sie besser jetzt den Mund auf und kooperieren.
Ansonsten könnte es in den nächsten Jahren ziemlich ungemütlich für Sie
werden.«
Kommissar Thamsen hatte sich weit über den Tisch gelehnt und
blickte dem Professor tief in die Augen. Als er die Spielschulden erwähnte,
glaubte er, ein überraschtes Zucken im Gesicht seines Gegenübers entdeckt zu
haben. Jetzt aber war er sich nicht mehr sicher. Der Mann hielt seinem Blick
stand. Eiskalt und berechnend klang seine Stimme, als er fragte:
»Dürfen Sie mich in Abwesenheit meines Anwaltes überhaupt
befragen?«
Thamsen hatte nicht mit so viel Widerstand gerechnet. Er
hatte gedacht, wenn er die Spielsucht erwähnte, würde Voronins Maske fallen.
Doch der schien völlig unberührt. Wieso wiegte er sich in Sicherheit?
»Befragen darf ich Sie vielleicht nicht. Aber Behauptungen
äußern. Und ich behaupte, Sie haben illegale Organtransplantationen
durchgeführt und Heike Andresen auf dem Gewissen.«
Der Professor grinste schlau.
»Dann beweisen Sie es doch!«
Nachdem Haie den Boden der Turnhalle gebohnert,
ein Pult repariert und den Schulhof gefegt hatte, machte er Feierabend.
Er fuhr zunächst zu Elke, gab vor, sich vergewissern zu
wollen, ob das Dach nach dem Sturm auch dicht geblieben war. Der wahre Grund
seines Besuchs war, dass seine Exfrau immer ziemlich genau Bescheid wusste,
worüber im Dorf gesprochen wurde. Er wollte hören, was man sich über die
Familie Martens erzählte.
Mit fachmännischem Blick schaute er zum Giebel des Hauses
hinauf, während Elke neben ihm stand.
»Hast du eigentlich schon gehört, dass Martens wegziehen
wollen?«
»Gestern, bei Helene im SPAR-Laden. Angeblich soll das Klima
in Bayern für Lisa besser sein.«
Sie ging nicht weiter auf das Thema ein und er nickte.
Anscheinend war die Familie kein ergiebiges Gesprächsthema im Dorf.
»Bleibst du zum Essen?«
Ihr hoffnungsvoller Blick verriet, dass sie sich nichts
sehnlicher wünschte. Doch er musste sie enttäuschen. Er wollte noch zu Tom und
Marlene.
»Vielleicht ein anderes Mal!«
Er stieg auf sein Fahrrad.
Toms Wagen stand vor dem Haus. Haie klopfte kurz
an und trat ein. Sie saßen in der Küche und unterhielten sich über Marlenes
Vortrag.
»Ich weiß, wo Lisa Martens ist«, platzte er heraus.
Er erzählte von seinem Besuch bei Lisas Vater und dass er nun
wüsste, dass das Mädchen nach Husum verlegt worden war.
»Nach Husum? Führen die denn da überhaupt Transplantationen
durch?«
Marlene
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