Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
flüsterte er.
Sie gab ein leises Summen von sich.
Er umfasste ihre kleinen Arme und sah ihr ernst in die Augen.
»Sollen wir nach Hause fahren?«
Sie nickte mit zusammengepressten Lippen.
»Möchtest du das?«
Wieder nickte sie.
»Dann machen wir das.« Er umarmte sie noch einmal.
76
Der Sommer war zurückgekehrt. Nicht nur, wie gestern, die Sonne. Nun war auch die Hitze wieder da. Als Fredrik hereinkam, hatte Sara sich den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt und machte eine Handbewegung, die vermutlich bedeuten sollte, dass das Gespräch gleich beendet sein würde.
Sara hatte sich in ihrem Zimmer ganz anders eingerichtet als er. An der Pinnwand hingen Fotos von Freunden und Verwandten. In einer Vase auf dem Tisch stand eine rosa Stoffrose, die ihr ein Kollege zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. An der Wand hing ein Filmplakat von einer bewaffneten Jodie Foster als FBI-Agentin Clarice Starling. Lennart Svensson hatte es zu einigen Lesbenwitzen animiert, die er allerdings außerhalb von Saras Hörweite zum Besten gegeben hatte. Auch ein Bild von sich hatte Sara bei den privaten Fotos aufgehängt. Es war ein Zeitungsausschnitt aus Gotlands Allehanda , in dem über den ersten Halbmarathon in Visby berichtet wurde, bei dem Sara einen der vorderen Plätze gleich hinter der Elite errungen hatte.
Fredrik hatte es nur mit seinem Sturz von der Klippe in Östergarnsholme in die Zeitung geschafft, aber damit wollte er sich nicht brüsten.
Sara legte auf und ließ den billigen Kugelschreiber auf ihre Notizen fallen.
»Marte Astrup hat ein Alibi für die Tatzeit. Sie hat bis Viertel vor sechs in Kopenhagen gearbeitet.«
Also konnte sie nicht einundfünfzig Minuten später von einer Überwachungskamera auf Fårö erfasst worden sein.
»Hast du Agnes Lind erreicht?«, fragte Sara.
»Ja«, antwortete Fredrik. »Sie saß mit zwei Freundinnen im Grand Hôtel in der Cadier Bar und hat einen Cocktail für hundertfünfundsechzig Kronen geschlürft.«
»Hat sie dir gesagt, was das Getränk gekostet hat?«
»Ja. Vielleicht dachte sie, das wirkt überzeugender.«
»Gutes Gedächtnis.«
»Ich glaube, an diesen Preis würde ich mich auch erinnern. Jedenfalls haben es beide Freundinnen bestätigt.«
Wie schon so oft hatte er festgestellt, dass es den Leuten weniger ausmachte, des Mordes verdächtigt zu werden, als wenn man sie fragte, mit wem sie ins Bett gegangen waren.
»Die Hotels waren also eine Sackgasse«, sagte Sara.
»Sieht so aus.«
Als Fredrik zurück in sein Zimmer kam, erwartete ihn eine Nachricht von Eva Karlén. Die Worte in der Betreffzeile weckten seine Neugier sofort. »Coop/IP-Adressen.«
Es war eine übersichtliche Liste mit fünf Spalten. Links standen Datum und Uhrzeit, danach kam der Kommentar selbst, anschließend IP-Nummer und Internetanbieter und ganz rechts Name und Adresse der Person, die sich hinter der IP-Nummer verbarg beziehungsweise die den Vertrag mit dem Internetanbieter unterzeichnet hatte. Eva hatte die Liste nach den Adressen sortiert.
Fredrik begann bei A und scrollte nach unten. Ungefähr die Hälfte der Leute hatte ihre Kommentare von Firmen oder öffentlichen Einrichtungen aus geschickt.
Verbrachten die Menschen mittlerweile so ihre Kaffeepausen? Schrieben sie zur Erholung hasserfüllte Nachrichten an Frauen, die ihnen in bester Absicht Vorschläge fürs Abendessen machten?
Viele Beiträge stammten aus Gotland, was nicht überraschend war, einige kamen von Computern in der Bibliothek. Ließ sich daraus schließen, dass die Verfasser so bösartige Kommentare schrieben, weil es sie verbitterte, dass sie sich keinen eigenen Computer und keinen Internetzugang leisten konnten, oder lenkten sich da Studenten mithilfe von sexistischen Bemerkungen vom Leistungsdruck ab? Oder achteten die Absender lediglich darauf, dass man sie nicht identifizieren konnte? Würde er selbst aus irgendeinem obskuren Grund auf die Idee verfallen, übers Internet Gemeinheiten zu verbreiten, täte er das jedenfalls auf keinen Fall von seinem privaten Computer aus, das stand fest.
Er suchte weiter. Auf einen Kommentar war er besonders gespannt, aber da die Liste nach Adressen geordnet war und nicht umsortiert werden konnte, musste er alles durchgehen. »Heute Nacht gibt es nur Henrik und mich …«
Er scrollte weiter. Hemse, Jönköping … Da war er. »Heute Nacht will er mich haben. Nur damit du es weißt.«
Der Kommentar war am 16. November des vergangenen Jahres um 17.18 Uhr
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