Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
Schlafen. Die Schuhe ausziehen. Zähneputzen. Diese Dinge hielten das Leben zusammen.
Lange Zeit hatte er sich nach Kräften bemüht, ganz anders zu denken: Der Alltag, die Routine, die trivialen Einzelheiten raubten einem nur die Lebensfreude, weswegen man immer in Bewegung bleiben müsse, ständig neu denken und offen für Abenteuer sein. Man müsse alles tun, um nicht eines Tages mit der Zahnseide und dem Naturjoghurt in der Hand dazustehen und sich so … normal vorzukommen.
Vollkommen falsch war diese Haltung wahrscheinlich nicht, man brauchte den Drang nach Neuem, aber jetzt hatte Henrik keine Angst vor dem Alltag und den praktischen Kleinigkeiten mehr. Im Moment war das alles, was er hatte. Falls es ihm gelingen sollte, sich aus belegten Knäckebroten und gut sortierter Schmutzwäsche eine Art von Alltag zu basteln, wäre er der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt. Nein, das war nicht wahr. Nicht auf der ganzen Welt. Nicht einmal glücklich wäre er. Das Wort Glück war ihm fremd geworden. Aber er würde funktionieren. Er würde sich lebendig fühlen, er würde spüren, dass er ein Recht zu leben hatte, und er würde nach vorn schauen können. Er versuchte sich einzureden, dass das in Ordnung sei. Als Mensch durfte man überleben wollen.
80
Inzwischen war es fünf. Fredrik, Sara, Göran Eide und der Staatsanwalt hatten sich in dem kleineren Besprechungszimmer versammelt. Fredrik hatte den Mediziner erreicht, der Katja Nyberg während ihres Studiums krankgeschrieben hatte. »Der Arzt kann sich nicht mehr an sie erinnern, aber das ist ja auch kein Wunder«, berichtete er. »Das ist über sechs Jahre her. Immerhin hat er die Karteikarte gefunden. ›Depression in Zusammenhang mit Trennung‹ stand darauf.«
»Interessant«, sagte Sara.
Peter Klint nickte stumm.
Fredrik fuhr fort: »›Gemäß den Angaben der Patientin Tendenz zu manischen Phasen. Verschreibung von Zoloft. Nächster Termin in vier Wochen.‹ Katja Nyberg ist zu dem Termin erschienen. Offenbar vor allem wegen der genauen Dosierung des Medikaments. Danach hatte sie keinen Kontakt mehr zu dem Arzt.«
»Heißt das, sie hat die Behandlung abgebrochen?«
»So muss man das wohl deuten.«
»Ich habe bei der Zeitarbeitsfirma in Malmö angerufen, die in ihrem Lebenslauf erwähnt wird«, fuhr Sara fort. »Als Nyberg die Vertretungsstelle beim Sydsvenskan bekam, hat sie dort gekündigt. Im Frühjahr hat sie sich dann wieder bei denen gemeldet. Da sie dort fast ein Jahr nicht mehr gearbeitet hatte, wurde für den 14. April ein Bewerbungsgespräch vereinbart. Aber Katja Nyberg ist nicht erschienen.«
»Hört sich an, als ob im Frühjahr etwas passiert wäre«, sagte Göran.
»Zuerst verliert sie die Lust an ihrer Arbeit, und ihre Vertretungsstelle wird nicht verlängert. Dann will sie zurück zu der Zeitarbeitsfirma, erscheint aber nicht zum Vorstellungsgespräch.«
»Sie beschließt, Kontakt mit Henrik Kjellander aufzunehmen, aber das endet damit, dass sie schließlich heimlich sein Haus mietet«, fügte Sara hinzu.
»Wie war das Gespräch mit Kjellander?«, wollte Klint wissen. »Was hat er über Nyberg gesagt.«
»Er hat bestätigt, dass er sie am 4. Oktober im Hotel getroffen hat, aber ich konnte ihn noch nicht richtig vernehmen.«
»Hat er zugegeben, dass sie ein Verhältnis miteinander hatten?«, fragte Klint.
»Nur, dass sie sich getroffen haben. Als ich anrief, saß er mit seiner Tochter im Auto, um nach Fårö zurückzuziehen.«
»Er muss anständig verhört werden.«
»Natürlich, aber er hat bisher nicht zurückgerufen, und ich konnte ihn auch nicht erreichen.«
»Klar, ich verstehe«, sagte Klint.
»Gibt es noch etwas?«, fragte Göran. »Habt ihr Nybergs Telefonanschlüsse überprüft?«
»Die Handynummer, die in der Personalakte vom Sydsvenskan steht, ist seit Februar nicht verwendet worden.«
»Hat sie Kjellander angerufen?«
»Nein, aber Kjellander sie. Einmal, am 23. Oktober.«
»Drei Tage bevor Henrik zum zweiten Mal nach Kopenhagen fuhr«, erläuterte Fredrik.
»Ja, und wie wir durch den Verbindungsnachweis wissen, war sie nicht nur, wie bereits bekannt, am 4. Oktober und am 16. November, sondern auch am 26. Oktober in Kopenhagen.«
Sie sahen Klint an.
»Da gibt es nicht mehr viel zu überlegen«, schloss er. »Wir bitten Malmö, sie vorläufig festzunehmen.«
11. September
Und wer grinst da so im Aftonbladet ? Eine alte Hure, die vor fünfzehn Jahren an deinem Schwanz gelutscht hat.
Die langen Haare,
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