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Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nordwind: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Östlundh
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Ellens Namen rufen wollte, war ihre Kehle wie zugeschnürt.
    Im Laufen sah sie, dass Ellen einen Augenblick lang stehen blieb und dann losrannte.
    »Mama!«
    Ellen rannte mit ausgestreckten Armen. Nein, sie schien zu fliegen, allen Gesetzen der Schwerkraft zum Trotz. Und Malin sah sie fallen. Immer wieder prallte ihre Tochter auf den Boden. Das makellose zarte Gesicht auf dem groben Asphalt. Doch Ellen fiel nur in Malins Kopf. Als sei es zu schön, um wahr zu sein, dass sie wieder da war. Als müsste ihr im letzten Moment doch noch etwas zustoßen. Alle Gefühle, die Malin unterdrückt hatte, um freundlich mit den Polizisten umgehen und in der vergangenen halben Stunde überhaupt funktionieren zu können, brachen nun mit voller Wucht über sie herein und fluteten sie mit brutalen Schreckensszenarien.
    Doch Ellen fiel nicht. Sie rannte, und Malin rannte und hörte, wie Henrik Ellens Namen rief. Nun hatte er sie auch gesehen. Alle hatten sie gesehen.
    Dann schloss sie ihre Kleine in die Arme. Sie beugte sich zu dem zarten Körper hinunter und drückte ihn ganz fest.
    »Ellen.«
    Tränen strömten ihr wie ein Wasserfall über die Wangen, und sie fing wie wahnsinnig an zu lachen.
    »Mama!«
    Die kleinen Finger krallten sich krampfhaft in ihren Rücken.
    »Sie hat gesagt, dass sie mich wieder zurückfährt!«
    Das weiße Auto. Es stimmte also. Malin spürte, wie ihr die Knie weich wurden. Mit Ellen im Arm sank sie auf den Asphalt.
    »Sie hat gesagt, dass sie mich wieder zurückbringt. Aber das hat sie nicht gemacht«, schluchzte Ellen.
    Irgendjemand hatte ihre Tochter in ein Auto gelockt und mitgenommen. In der Gegenwart von Lehrern und Mitschülern. Eine Sie. Ellen hatte »sie« gesagt. Und nun hatte sie Ellen gehen lassen. In der Gegenwart ihrer Eltern und sieben Polizisten. Weit weg konnte die Frau nicht sein. Ellen war nicht lange weg gewesen.
    »Ich musste ganz weit laufen.«
    Ellen drückte weinend ihr Gesicht an Malins Hals. Malin hörte Schritte hinter sich. Dann spürte sie eine Hand auf der Schulter. Das war Henrik. Er sank neben ihnen auf die Knie und legte die andere Hand auf den Kopf ihrer Tochter.
    »Ellen«, sagte er sanft.
    Malin war es ein Rätsel, wie er sich so beherrschen konnte. Gefühlvoll, aber beherrscht. Sie selbst war gerade gestorben und neu geboren. Sie riss ihren Blick für einen Moment von Ellen los und sah Henrik in die Augen. Langsam wurde sie ruhiger. Das hier war ihr Leben. Es war echt. Henrik, Ellen und Axel. Sie würde die drei nie wieder loslassen. Am liebsten wollte sie sofort zum Kindergarten gehen, Axel abholen und auf direktem Wege nach …
    Hier kam sie nicht weiter. Wohin denn fahren? Zu ihrem Haus in Kalbjerga? Wo eine fremde Person aus ihren Familienfotos die Augen ausgestochen hatte? Wo jemand den Spielzeugkorb als Toilette benutzt und absichtlich Glasscherben auf dem Fußboden verstreut hatte? Eine fremde Person.
    Malin sah Ellen an. Sie hat gesagt, dass sie mich wieder zurückbringt. Sie.
    Malin drehte sich zu den Polizisten um, und es versetzte ihr einen Stich, als sie sah, wie Leif Knutsson einem der Uniformierten gegenüber die Augen verdrehte. Es war nur eine kurze Grimasse, aber ihr reichte sie vollkommen aus. Malin wusste genau, was das zu bedeuten hatte. Für die beiden war die Sache bereits klar. Ellen hatte sich davongeschlichen, um sich bei Ica Süßigkeiten zu kaufen, und sieben Polizeibeamte waren ganz umsonst den weiten Weg aus Visby gekommen.
    Sie konnte sich nicht länger beherrschen. Mit Ellen an der Hand richtete sie sich ruckartig auf und ging mit großen Schritten auf die Polizisten zu.
    »Malin?«, rief Henrik ihr fragend hinterher.
    Aber Malin ließ sich nicht aufhalten.
    »Sie ist entführt worden«, sagte sie mit lauter Stimme. »Ellen ist von einer Frau in ein weißes Auto gelockt worden. Sie ist gekidnappt worden, verflucht noch mal, also hören Sie bloß auf, sich über uns lustig zu machen.«
    Alle sieben Polizisten sahen sie mürrisch an.
    »Sie ist gekidnappt worden, verdammt!«
    Fredrik Broman sagte etwas zu den anderen und kam auf sie zu. Erst jetzt begriff Malin, dass sie zu weit entfernt war, als dass die Männer sie hätten hören können.

23
     
    Malin hat recht, dachte Sara. Die Frau mit dem weißen Auto hatte Ellen direkt vor ihrer Nase aus dem Wagen gelassen. Sie hätten ihr sozusagen auf der Straße begegnen können.
    Sara setzte sich mit Ellen und ihren Eltern zusammen, um das Mädchen zu befragen, während Fredrik und Gustav mit den

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