Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
diesen Punkt gelangt war. Ein Wort hatte das andere gegeben. Sie war ihrem Gefühl gefolgt. War das falsch gewesen? Eine Freundin, mit der er vor fünfzehn Jahren eine Beziehung gehabt hatte. Drei Jahre bevor Henrik und sie sich kennengelernt hatten. Bestimmt hatte er Stina Hansson erwähnt, als sie noch auf kindische Art all ihre Verflossenen durchkauten. Sie hatte es vergessen. Namen vergaß sie immer. Andere Dinge auch. Henrik pflegte das als praktisch zu bezeichnen. Alle drei Jahre konnte er seine Uraltwitze wieder aufwärmen, und sie hielt ihn trotzdem für den spannendsten Typen der Welt. Diesen Scherz hatte sie sich immerhin gemerkt.
»Ich bin hier aufgewachsen«, sagte er. »Da kenne ich eben ein paar Leute.«
»Das ist doch was anderes.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Henrik seufzte, als ob er recht hätte und sie sich auf lächerliche Weise von ihren Gefühlen mitreißen ließe. Er sah sie ernst an.
»Können wir uns nicht einfach auf uns selbst konzentrieren und diese Alarmanlage zum Laufen bringen?«
Malin schluckte. Um Verzeihung würde sie jedenfalls nicht bitten. Vielleicht hatte sie übertrieben reagiert, aber sie war noch immer der Meinung, dass es ein Fehler von ihm gewesen war, ihr nichts zu sagen. Er hätte ihr noch am selben Tag erzählen müssen, dass er Stina Hansson getroffen hatte. So machte man das in einer Beziehung. Um Argwohn und Wutausbrüche dieser Art zu vermeiden.
»Natürlich«, sagte sie, »aber du musst es der Polizei erzählen.«
»Klar, das mache ich. Nachher.«
»Tu es sofort.«
29
Stina Hansson wohnte in einer Zweizimmerwohnung in einer alten Villa, die zum Mehrfamilienhaus umgebaut worden war. Das Haus lag im Schatten einer Reihe von lange nicht beschnittenen Weiden im Kalkugnsvägen in Fårösund. Normalerweise arbeitete Stina Hansson in der Uni-Cafeteria in Visby an der Kasse, aber heute war sie krankgeschrieben. Mit anderen Worten, Stina arbeitete im selben Haus wie Alma Vogler. Fredrik fragte sich, ob die beiden einander kannten. Vermutlich zumindest vom Sehen. Alma musste unzählige Male bei Stina Hansson ihr Essen bezahlt haben.
Fredrik hatte nichts dagegen gehabt, noch einmal nach Fårösund zu fahren. Nach einem halben Jahr am Schreibtisch freute er sich über jede Gelegenheit, an die frische Luft zu kommen. Sara dagegen hatte ein bisschen gemurrt, als Göran sie darum gebeten hatte. Natürlich nicht ihrem Chef gegenüber, sondern auf dem Weg zur Garage. Fredrik konnte sie verstehen, aber falls nichts Unvorhergesehenes passierte, würden sie vor Ankunft der Fähre von Saras Fernbeziehung zurück in Visby sein.
Auf den ersten Blick war Stina Hansson eine dreiunddreißig Jahre alte Frau, der es richtig gut ging. Ihr hübsches blondes Haar fiel ihr ein Stück weit über die Schultern, und bei der Begrüßung erwiderte sie Fredriks Blick mit einem Lächeln und strahlend blauen Augen.
Er erklärte ihr kurz, dass sie ihr ein paar Fragen stellen müssten, und Stina schlug vor, sich an den Küchentisch zu setzen.
Sie machte das Licht über dem Tisch an. In der Küche war es dunkel, obwohl draußen noch helllichter Tag war. Wenn morgens die Sonne durch die Baumkronen schien, war es wahrscheinlich gemütlicher hier.
»Sie sind krankgeschrieben«, sagte Fredrik. »Ist das heute der erste Tag?«
»Ja. Seit gestern Abend fühle ich mich nicht gut.«
»Inwiefern?«, fragte er.
»Was soll das? Schickt Sie die Versicherung?« Stina grinste Fredrik an.
»Nein«, erwiderte er, »solange wir keinen schwereren Versicherungsbetrug entdecken, werden wir unsere Informationen nicht weitergeben.«
Sara warf ihm einen Blick zu. Vielleicht hatte er sich zu einem etwas zu ironischen Unterton hinreißen lassen. Etwas sachlicher fügte er hinzu: »Nein, wir kommen nicht von der Krankenversicherung.«
Das Lächeln auf Stinas Lippen verflog. Die erste Antwort hatte ihr anscheinend besser gefallen.
»Ich hatte Schüttelfrost und Gliederschmerzen, typische Grippesymptome. Deshalb habe ich gestern Abend meinen Chef angerufen.«
»Waren Sie den ganzen Tag zu Hause?«
»Ja.«
Stina blickte von Sara zu Fredrik, bevor sie fortfuhr. »Warum fragen Sie mich das? Ich versteh das nicht ganz.«
»Wenn wir unsere Fragen zuerst stellen dürfen, können wir später vielleicht auch Ihre beantworten«, sagte Fredrik.
Stina zog die Augenbrauen hoch und nickte fast unmerklich. »Wie Sie wollen.«
Beim Betreten der Wohnung hatte Fredrik einen leichten Geruch von Katzenpisse wahrgenommen. Nun
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