Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
mit halb geschlossenen Augen an. Sie hatte lange geschlafen. Offenbar hatte sie zwei von den Tabletten genommen, die ihnen die Ärztin gegeben hatte.
Er selbst wollte nicht schlafen. Nie wieder. Er wollte über Ellen, über sich selbst und über Malin und Axel wachen. Er würde ein neuer Mensch, ein anderer werden. Ein Ritter, der sich von Luft ernährte, niemals schlief und nur für seine Tochter und das Andenken seines Sohnes und seiner Frau lebte. Malin und Axel. Die niemals wiederkommen würden.
Er würde so werden wie die Strände von Fårö. Würde sich in das Meer, den Wind und die Steine verwandeln. Die halbe Strecke hatte er bereits zurückgelegt, und die Stimme, die ihm zuflüsterte, dass er allmählich den Verstand verlor, wurde immer leiser.
»Du musst mir sagen, dass es wirklich passiert ist, sonst glaube ich, dass ich es geträumt habe«, sagte Maria heiser.
Ihre Stimme riss ihn aus seiner fast euphorischen Trauer. Maria versuchte krampfhaft, die Augen zu öffnen. Pulsierende Signale aus schmalen Schlitzen, die ihn im nächsten Moment dunkel und fordernd anblitzten.
Er schwieg.
»Du musst mir sagen, dass es wirklich passiert ist«, wiederholte sie und kam mit kurzen Schritten auf ihn zu.
Henrik warf einen Blick über seine Schulter. Ellen saß vor dem Fernseher, aber er hatte keine Ahnung, ob sie die Sendung verfolgte oder nur mit großen Ohren dahockte und den Bildschirm anstarrte.
Er machte einen Schritt auf Maria zu, sodass er ganz nah vor ihr stand.
»Es ist …«, flüsterte er, doch seine Stimme kam nicht über ein kratziges Hindernis hinaus.
Nach einigen tiefen Atemzügen versuchte er es noch einmal.
»Es ist wirklich passiert.«
Die klimpernden Lider kamen zur Ruhe.
»Es ist wirklich passiert«, wiederholte er. »Sie sind nicht mehr da.«
Er sah Marias Augen feucht werden. Dann liefen die Tränen über. Schluchzend und nach Luft ringend streckte sie die Arme nach ihm aus. Die Decke fiel zu Boden. Wie ein verwirrtes Kind sah sie aus, das aus einem Albtraum erwacht war. Sie schlang die Arme um ihn und schmiegte sich an seine Brust. Er hielt sie fest. Der Weinkrampf, der sie schüttelte, ließ ihre Stirn gegen seine Brust wummern.
Es erschien ihm nicht besonders ritterlich, mit der halb nackten Schwägerin im Arm in einem Mittelklassehotel mit Aussicht auf den Hafen von Visby dazustehen, aber es wäre noch weniger ritterlich gewesen, es nicht zu tun.
Wie hatten sie sich so verirren können? Waren sie böse Menschen ohne Gewissen? Er wollte Maria danach fragen, sah aber ein, dass dies nicht der richtige Moment war. Diese Zeit war zu Ende. Er blickte aufs Meer hinaus. Auch wenn man sich das Gegenteil einbildete, es gab immer ein Ende. Nun war er dort angekommen.
5. September
Ich weiß, es ist idiotisch, dass ich meine Tage damit verbringe, an dich zu denken. Ich erinnere mich an die besten Dinge und an die, die am meisten wehtun. Das macht oft gar keinen Unterschied. Die schönsten Erinnerungen schmerzen fast noch mehr als die schlimmsten.
Du bringst mich schon beim ersten Mal zum Orgasmus, und ich bin hingerissen, kann gar nicht begreifen, was da mit mir geschieht. Es ist wie beim allerersten Mal mit meinen dreizehnjährigen Fingern unter der Bettdecke. Ich denke, es stimmt etwas nicht mit mir, die Welt geht unter, ich sterbe.
Als du zum ersten Mal in mir kommst, flüsterst du stöhnend meinen Namen.
Dann dein verschlossenes Gesicht, nachdem du mir gesagt hast, dass wir damit aufhören müssen. Als wäre es ein verdammtes Naturgesetz, dass wir beide nicht zusammen sein können. Die Sorgenfurche zwischen deinen Augen, als wäre ich dir nur lästig. Ein Hindernis auf deinem Weg. Da, wo du hinwillst, ist kein Platz für mich.
Starrsinnig kehre ich zu meinen Erinnerungen zurück. Zu den schlimmsten, die wehtun, und den schönsten, die mir noch mehr wehtun.
Now the drugs don’t work. They just make you feel worse. Ich kasteie mich, aber ich komme Gott kein bisschen näher – haha.
Nun zu meinen Phantasien. Sie handeln nie von dir, sondern nur von mir. Es ist immer das Gleiche: Ich hänge mich an dem großen Baum vor deinem Haus auf, damit ich das Erste bin, was du siehst, wenn du am nächsten Morgen nach draußen kommst. Und wenn es mir richtig schlecht geht, kommt dieser Gedanke: dass ich mich in einem großen Müllsack in den Abfallraum lege und mir die Arme aufschneide. Ich schneide tief in die Arterien an den Unterarmen und nicht quer über die Handgelenke wie Amateure. Nach
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